
Ein Buch, das generations- und geschlechterübergreifend Menschen fasziniert – mit nervenzerfetzender Spannung, perfektem Timing, Witz und Gefühl.
Vor allem aber mit Figuren, die man unbedingt an seiner Seite haben möchte, wenn finstere Gestalten mit noch dunkleren Absichten das eigene Leben bedrohen.
Der Erebos-Kosmos ist Kult, Band drei ein absolutes Lese-Muss.
Ursula Poznanski
Erebos 3
Loewe HC
ISBN: 978-3-7432-1660-0
(ab 14 Jahren)
Du hast nur eine Chance.
Noch nie war diese Regel so wörtlich zu nehmen, und noch nie war der Einsatz so hoch. Zweimal ist Nick Dunmore bereits mit heiler Haut den Fängen des Spiels entkommen. Nun erwacht die Welt von Erebos erneut auf seinem Computer zum Leben und zwingt ihn, sich als Dunkelelf Sarius ihren Rätseln zu stellen. Er und seine Freunde werden auf eine Suche geschickt, ohne zu wissen, was sie eigentlich finden sollen.
Doch eins ist klar: Es geht um Leben und Tod. Wessen Leben? Darauf gibt Erebos keine Antwort. Als Nick endlich begreift, was tatsächlich das Ziel ihrer Suche ist, ist es fast schon zu spät.
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Erebos 1 und 2 als optimale Vorbereitung
Was für eine Art wäre es, die Empfehlung für ein Buch mit dem dringenden Hinweis auf zwei andere Titel zu beginnen? Das einzig Vernünftige in dieser Situation! Denn zwar kann man Erebos drei hervorragend lesen und genießen, wenn man die beiden Vorläufer nicht kennt oder nicht mehr präsent hat, doch ist der Genuss ungleich größer, hat man sich selbst die Freude gemacht, die knapp 1000 Seiten von Band 1 und Band 2 im Vorfeld noch einmal zu inhalieren.
15 Jahre nach dem aufsehenerregenden Erfolg von Erebos 1 ist Nick, den die Leserin damals als 16-jährigen Schüler kennengelernt hat und neun Jahre Später in seinen Anfängen als Fotograf wiedertraf, 27 Jahre alt. Er schlägt sich eher schlecht als recht durchs Leben, hat zwar vielversprechende Kontakte geknüpft, doch die ganz großen Aufträge noch nicht an Land gezogen. Auch sein Privatleben ist überschaubar – ab und zu ein Bier mit einem alten Kumpel, während er die im Ausland weilenden Freundin vermisst. Die Geschichte rund um das seltsame Computerspiel Erebos ist nur noch eine ferne Erinnerung (wiewohl die Ereignisse von Band zwei erst ein Jahr zurückliegen).
Nun allerdings ist das Game mit Macht zurück und trifft den Protagonisten mitten ins Mark, während die Leserschaft mit kryptischen Nicht-Erklärungen angefüttert wird, warum der Bote den widerstrebenden Dunkelelf erneut rekrutiert. Nur eine Anweisung ist glasklar: Nick soll in der Fantasy-Welt von Erebos Gefährten um sich scharen. Einer Welt, in der ganz eigene Gesetze herrschen und sich das Geschehen rund um Kriegerinnen, Heiler, Schlächter und allerlei andere magische Geschöpfen auch dann weiterdreht, wenn die einzelnen Gamer ihren Rechner längst heruntergefahren haben.
ESports und MMORPGs – ein Millionengeschäft
Eine Welt dies, in der sich im Übrigen täglich Millionen Fans von „Massive Multiplayer Online Role-Playing Games“ (MMORPG) bewegen. Nicht von ungefähr sind eSports-Turniere ein Millionengeschäft. In Sachen Zuschauerzahlen wie auch Preisgeldern. 2024 wurden an den Sieger der League of Legends-WM, das südkoreanische Team T1, satte 445.000 US-Dollar ausgeschüttet – aus einem Pool von mehr als 2,2 Millionen.
Doch auch wer seine Tage (und Nächte) nicht zockenderweise vor einem Rechner verbringt, wird sich dem faszinierenden Sog des Buches nicht entziehen können. Wie schon zuvor, versucht Nick der Einladung, die eher einem Befehl gleicht, zu trotzen. Und wieder ist das „Spiel“ absolut überzeugend – es bleibt ihm keine andere Wahl. Wie auch, wenn die KI nicht nur sein Mailprogramm übernimmt, sondern auch Google-Bewertungen und -Kommentare entstehen lässt, die seine berufliche Existenz gefährden.
Und damit nicht genug: schnell verdeutlicht der unsichtbare Strippenzieher allen Beteiligten, zu denen neben bekannten auch neue, sehr junge Spielende gehören, wie gut er Bewegtbildmaterial aller Art und Tonübertragungen manipulieren kann. So verschwimmen nicht nur die Grenzen zwischen virtueller und echter Welt, auch in Sachen Außenwirkung ist die Trennung aufgehoben zwischen tatsächlicher Person und Marionette der künstlichen Intelligenz.
In dieser bedrohlichen Atmosphäre also begibt sich Nick in die alte, neue Gemeinschaft von Elfen, Vampirinnen, Zwergen und Schädelspalterinnen, die sich in schwierigen Rätseln und blutigen, furchterregenden Kämpfen messen müssen. Als er in der Realität herumschnüffelt, um herauszufinden, worum es eigentlich geht, wird ihm schnell drastisch deutlich gemacht, dass ein solches Verhalten für Leib und Leben gefährlich ist.
Nur darum schreckt er nicht davor zurück, sich im nächtlichen London mit Dutzenden von anderen Spielern auf die Suche nach einem Hinweis zu begeben. Doch dieser actionreiche Wettkampf, bei dem niemand davor zurückschreckt, die anderen auf unfaire Weise zu behindern, ist noch längst nicht das Ende der Spannungs-Fahnenstange.
Die Spannung steigt, das Atmen fällt schwer …
Denn erst als nach etwa zwei Dritteln des Romans alle Puzzleteile an die richtige Stelle fallen, beginnt der wahrlich nervenzerfetzende Showdown in dem sich ehemalige Gegner sich zusammenschließen, um gegen den gemeinsamen Feind, die ganz große Gefahr gemeinsam vorzugehen, während die Uhr tickt. Alles kommt zum Einsatz: Körperkraft, Grips und ein Quäntchen Glück.
Die Spannung steigt, das Atmen fällt schwer – immer steht die Frage im Raum: soll man umblättern oder lieber nicht? Man würde es gern so lange als möglich herauszögern – und gleichzeitig noch schneller lesen können als ohnehin schon. Über Dutzende und Aberdutzende von Seiten geht das so – und es dürfte keine einzige weniger sein. Am Ende sind die brennenden Augen, die das Cover dominieren, auch für alle Leserinnen und Leser symptomatisch, vor allem für jene, die den Fehler begangen haben, erst gegen Abend zum Buch zu greifen.

Immer ein Garant für Spannung und Unterhaltung auf höchstem Niveau – Ursula Poznanski (Foto: Gaby Gerster für Loewe Verlag)
Doch warum fasziniert das Buch 14-Jährige ebenso wie 40- oder 65-Jährige? Vielleicht, weil die ewige Auseinandersetzung „gut“ gegen „böse“ so zeitlos ist, zumal sich viele Doppeldeutigkeiten erst nach der Auflösung erschließen. Gut möglich, dass es auch gerade jetzt in diesen unsicheren, problematischen Zeiten damit zusammenhängt, dass man sich nur zu gern der Realitätsflucht in ein Spiel hingeben möchte – die aber natürlich zunichte gemacht wird, in dem Moment, in dem die virtuelle Welt den Alltag kapert und Unvorstellbares verlangt. Denkbar wäre auch der tiefsitzende Wunsch der meisten Menschen, Teil einer Gemeinschaft sein, sich verwandeln und komplett von der eigenen Gestalt und Wesensart loslösen zu können. Zumal bei der Zusammenstellung des Teams nicht immer ausschließlich körperliche Überlegenheit zählt, sondern vielmehr, wie man sich ergänzt.
Kurzum: Auch diesmal hat Ursula Poznanski – die in der Zwischenzeit nach dem Deutschen Jugendliteraturpreis und zahlreichen Nominierungen und Auszeichnungen auch den Glauser 2024 in der Kategorie „Kinder und Jugendkrimi“ des Syndikats erhalten hat – einen ganz großen Wurf gelandet. Die vordersten Plätze der Bestsellerlisten sprechen hier eine deutliche Sprache. Die Lektüre ist also ein Muss. Und wer sich noch etwas richtig Gutes tun will, der reist am besten gleich selbst nach London und begibt sich direkt vor Ort auf Erkundungstour der Schauplätze … Ob von Band eins, zwei oder drei.
Miss Sophie