Interview Michael Robotham

Bild: Tony Mott

Er ist Australier, lebte aber lange als Journalist und Ghostwriter in Europa. Seine Romane wurden in fast 30 Sprachen übersetzt, die entsprechenden Verfilmungen bescheren den Sendern regelmäßig Top-Einschaltquoten und sein aktueller Roman „Die Rivalin“ liegt ganz vorn in den Bestsellerlisten.
Die Rede ist von Michael Robotham, der die lange Reise einmal quer über den Erdball unternommen hat, um sich persönlich den Fragen seiner deutschen Fans zu stellen.

Das Interview (das aus Termingründen telefonisch stattfinden muss) geht schon gut los: „Diese Nummer ist nicht vergeben“ meint die blecherne Stimme auch beim dritten Versuch, den Autor in seinem Hotel in Hannover zu erreichen, wo er sich auf die abendliche Lesung vorbereitet. Anscheinend gibt es ein technisches Problem im ganzen Haus.
Doch dank einer findigen Pressereferentin kommt das Gespräch am Ende doch zustande – deutlich später als ursprünglich geplant, aber mit einem trotz allem gut gelaunten und ausgesprochen freundlichen Michael Robotham.

In Australien ist derzeit Sommer – was fällt Ihnen zum deutschen Wetter ein?
(lacht) Man hätte dafür sorgen können, dass es ein wenig freundlicher ist, wenn ich da bin. Aber ich vermeide einfach, nach draußen zu gehen und dann ist das schon in Ordnung.
Außerdem ist das nicht das erste Mal, dass ich im Winter nach Deutschland komme. Zuletzt war ich im Dezember 2016 auf Lesereise. Zusammen mit meiner Familie. (wird ernst) In Berlin waren wir, wenige Tage vor dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt. Wir hätten genauso gut unter den Opfern sein können.

Was für ein Schock! Trotzdem hat Sie das von einem weiteren Besuch in Deutschland nicht abgehalten …
Nun, ich habe als Journalist lange in London gelebt. Und zwar genau zu der Zeit, als die IRA-Bombenanschläge den Alltag beherrschten. Daher schreckt mich das nicht so sehr. Zumal die Wahrscheinlichkeit, dass sich wieder etwas Schreckliches ereignet, wenn ich an einem bestimmten Ort bin, doch recht gering ist.
Außerdem: Es wäre fatal, wenn Menschen aus Angst vor Anschlägen aufhörten, hier- oder dorthin zu reisen. Dann hätten die Terroristen ihr Ziel erreicht. Das kann niemand wollen!

Wie gut, dass der 57-jährige sich nicht beirren ließ und nun persönlich seinen neuen Roman vorstellt, der just in diesen Tagen auf den ersten Platz der Spiegel-Bestsellerliste geklettert ist.
Ein Roman, in dem es um zwei Frauen geht, die gegensätzlicher nicht sein könnten: Hier Agatha mit einer Kindheit und Jugend aus der Hölle, die im Supermarkt Regale auffüllt und Böden putzt, um über die Runden zu kommen. Dort Meghan, vor ihrer Ehe mit einem prominenten Sportreporter nach einer klassischen Privatschulkarriere als erfolgreiche Journalistin überall auf der Welt zu Hause, jetzt Bloggerin und zweifache Vorzeige-Mutter.
Zunächst kennen sie sich nicht einmal – oder sagen wir es so: EINE weiß nicht, dass die andere existiert, die wiederum alles tut, bis hin zur Wahl des Haarschnitts, um der Frau mit ihrem Wunsch-Leben zu gleichen.
Nur eine Sache haben sie gemeinsam: Den durchgedrückten Rücken als Gegengewicht zur Last eines Schwangerschaftsbauches im dritten Trimester.
Sowie die eine oder andere „Leiche im Keller“, von der nie jemand etwas erfahren darf.
Als Agatha und Meghan schließlich tatsächlich zusammentreffen, wird eine unheilvolle Maschinerie mit schrecklichen Konsequenzen in Gang gesetzt …

ALLEIN UNTER FRAUEN

Die Frage drängt sich auf: Wie kam es nach immerhin zehn Bänden einer Reihe mit zwei männlichen Protagonisten zu einem Buch, bei dem zwei Ich-ErzählerINNEN im Zentrum stehen?
Das war keine bewusste Entscheidung – er ergab sich so. Mit der Idee für das Buch ging ich sehr lange schwanger, genauer gesagt schon seit 1991. Da hatte ich als Journalist eine Story auf dem Tisch, die mich nicht losließ. All die Jahre schlummerte sie immer irgendwo in meinem Hinterkopf. Doch ganz lange scheiterte das Projekt daran, dass ich keine Ahnung hatte, aus welcher Perspektive ich die Geschichte aufschreiben sollte.
Und dann, eines Tages, kam mir die rettende Idee: Um meine Leserschaft an den Punkt mitzunehmen, an dem sich zwei Lebenswege auf entsetzliche Art und Weise kreuzen, brauchte ich ZWEI Stimmen. Die, es ging nicht anders, weiblich sein mussten.

Und ab dann ging alles wie von selbst …?
Keineswegs! Es war meine bisher schwierigste und schmerzhafteste Arbeit überhaupt.
Soll heißen: Wie einfach ist es wohl für einen grauhaarigen Australier in fortgeschrittenem Alter, sich in Kopf und Leben gleich zweier Engländerinnen Mitte/Ende dreißig hineinzudenken?
Zumal die Mehrzahl meiner Leserschaft ebenfalls aus weiblichen Wesen besteht und daher jede Unsauberkeit, egal ob bei der Diktion oder den Gedankengängen, sofort auffallen würde.
Ganz unvorbereitet war ich allerdings nicht. In (m)einem früheren Leben gab ich als Ghostwriter bereits Frauen wie Geri Halliwell oder Lulu, der Ex-Frau von Maurice Gibb, eine Stimme. Auch da musste der richtige Ton getroffen werden.
Vor allem aber kam es mir zugute, dass ich im „echten“ Leben bei einer Gattin und drei Töchtern praktisch allein bin unter Frauen. Nur der Kater steht mir zur Seite (lacht).

Die Herausforderung bei „Die Rivalin“ ging aber noch einen Schritt weiter: Welche Hilfsmittel braucht man, um sich in die Gefühlswelt einer SCHWANGEREN hineinzuversetzen?
Ich habe mit Dutzenden von Schwangeren gesprochen und mich durch eine Unzahl von Mütter- und Schwangerschafts-Blogs gelesen. Von denen zwar eine Menge ausgesprochen belanglos und langweilig sind, einige sich aber auf nachgerade brillante, intelligente und sehr, sehr lustige Weise mit den Themen Schwangerschaft, Geburt und Kindererziehung beschäftigen.
Nachdem das Buch dann fertig war, gab ich es einer ganzen Reihe von Frauen jeden Alters zu lesen – beileibe nicht nur solchen, die gerade ein Kind erwarteten. Alles sollte absolut richtig klingen. Authentisch, nicht aufgesetzt.

DIE BEDEUTUNG VON TRENDS

Aus Sicht einer (im Vergleich zu den Protagonistinnen zwar rund 15 Jahre älteren) Frau und zweifachen Mutter tut es das in jedem Fall.
Und es wird auch der Lebenswirklichkeit durchaus gerecht – man denke nur an Meghans Blog mit seinen sechstausend Followern, die Schwangerenyoga-Gruppe oder die intervallfastenden Cafébesucherinnen …

Lustig, dass Sie das erwähnen – tatsächlich MUSS man solche Dinge einflechten, wenn man versucht, wie ich es tue, so nahe wie möglich am Puls der Zeit zu schreiben. Denn die Umgebung muss dort, wo ein Ich-Erzähler (oder eine -Erzählerin) zum Einsatz kommt, so vertraut sein, dass die Leserschaft komplett in die Handlung eintauchen kann.
Das führt witzigerweise übrigens dazu, dass manche Anspielungen zum Beispiel in den USA ausgetauscht werden müssen, weil man sie dort nicht versteht.
Liest man unter diesem Aspekt der Aktualität meinen Erstling von 2004 noch einmal, dann scheint es sich fast um einen historischen Roman zu handeln.
Auf der anderen Seite darf eine neue Mode oder ein Hype aber auch nicht so neu sein, dass noch niemand davon gehört hat.
Wenn ich in diesem Zusammenhang an meine Zeit als Journalist zurückdenke, dann erinnere ich mich: Zum Zeitpunkt, wenn wir über einen Trend berichteten, war er fast schon wieder Geschichte.
Vor diesem Hintergrund sind Bücher wirklich sehr kurzlebig – und wenn wir „Die Rivalin“ in zehn Jahren noch einmal lesen würden, wäre sicher vieles, was dort beschrieben wird, auch schon längst wieder überholt.

DOMESTIC NOIR ALS HERAUSFORDERUNG

Um noch einmal auf den Wechsel des Sujets zurückzukommen …
Wenn man über Jahre eine fortlaufende Reihe schreibt, dann braucht man irgendwann eine Pause. Ich wollte etwas ganz Neues, Frisches tun.
Genau zu diesem Zeitpunkt begegnete mir „Gone Girl“, was mich total begeisterte. Mir wurde klar, dass mein nächstes Buch ein „Domestic Noir“ werden sollte. Es sollte inmitten von engagierten Helikopter-Vollzeitmüttern spielen, die alle aus der gleichen Art Vorstadt stammen und alle dieselben Probleme haben.
Noch nie zuvor hatte ich einen Roman geschrieben, der auf zwei starken weiblichen Figuren basiert – ich wollte herausfinden, ob ich es kann. Ich sah das als meine ganz persönliche Herausforderung.

An anderer Stelle bezeichnen Sie sich als ganz „normaler“ Mensch. War es vor diesem Hintergrund auch eine Herausforderung, sich in die düsteren Niederungen unglücklicher Beziehungen zu begeben?
Wir Autoren von Spannungsliteratur werden immer wieder gefragt: „Woher stammen eure finsteren Ideen für all die schrecklichen Sachen, die ihr zu Papier bringt?“ Darauf gibt es nur eine Antwort:
Ganz egal, wo und wie wir leben – selbst wenn es in einem wunderbaren Land ohne erkennbare Nöte ist –, so gibt es doch diese kleinen Augenblicke riesengroßer Sorge, die wir alle nur zu gut kennen: Etwa wenn ein Kind im Kaufhaus plötzlich verschwunden ist. Oder wenn jemand, der fest versprochen hat, um zehn zu Hause zu sein, überfällig ist.
Kleine Schreckmomente, die ein guter Schriftsteller erhöht und um ein Vielfaches vergrößert. Und zwar mit der Intention, die Lesenden auf diese Weise in die Geschichte hineinzuziehen.

MIT DEN FIGUREN HOFFEN UND BANGEN

Müsste ich den Wahlspruch für meine Arbeit auf drei Worte herunterbrechen, so hieße es: MAKE THEM CARE
Die Leser sollen meine Figuren liebgewinnen, sich für ihr Schicksal interessieren. Ich sorge für Protagonisten, die man ins Herz schließen kann … (lacht) und bringe sie dann in fürchterliche Bedrängnis.
Wenn es keine emotionale Bindung zu den Buchcharakteren gibt, dann hat man die Leserschaft schon verloren.

Bei „Die Rivalin“ sind es sogar zwei, mit denen man sich identifizieren könnte …
Ganz genau! BEIDE, so unterschiedlich sie auch sind, haben ihr ganz eigenes Päckchen zu tragen. Das lässt sie zu faszinierenden Figuren werden, mit denen man mitfiebert.

Und manchmal auch die Schadenfreude teilt … Denn der Roman ist nicht nur unglaublich spannend und in weiten Strecken sehr tragisch, sondern manchmal auch ausgesprochen komisch. So geht es an einer bestimmten Stelle um einen sehr unschönen Denkzettel für eine Ehebrecherin. Ohne spoilern zu wollen: Es hat mit Fisch und einem sehr langlebigen, durchdringenden Geruch zu tun …
Wo haben Sie sich die Inspiration für diese Aktion geholt?

(überlegt kurz, lacht dann) Man könnte das mit dem Stichwort „Rache“ sicher auch bei Google finden. Aber in der betreffenden Szene habe ich mich tatsächlich an einem Ereignis aus meinem Freundeskreis orientiert. Das hat eine Freundin von mir einmal mit ihrem Ex gemacht und es hatte durchschlagenden Erfolg!

DER UNGEPLANTE HELD UND SEINE ZUKUNFT

Letzte Frage: Zehn Bände „Joe O’Laughlin“ und „Vincent Ruiz“ – war es das mit der Reihe?
Tatsächlich sitze ich aktuell an den Korrekturen der Druckfahnen von „The Other Wife“, dem neuen Joe-Roman, der im Sommer erscheinen wird.
Dazu ist zu sagen: Als ich diesen Protagonisten seinerzeit erschaffen habe, gefiel mir die tragische Ironie eines Helden, dessen rasiermesserscharfer Verstand in einem Körper steckt, der sich langsam immer mehr zersetzt. Er sollte ein lebendiger Gegenbeweis zu all den Jack Reacher-, Jason Bourne- oder James Bond-Figuren sein. Ein Mann, der seine Gegner niemals durch Geschwindigkeit, Körperkraft oder Fahrkünste zu Fall bringen könnte, sondern dafür immer seinen Grips würde einsetzen müssen.
Hätte ich geahnt, dass Joe mich nach all diesen Jahren immer noch begleitet, dann hätte ich es mir definitiv zweimal überlegt, ihn an Parkinson leiden zu lassen.
Meine Leser haben mich überrascht. Sie haben Joe in ihr Herz geschlossen. Sie lieben seine Macken und seine Verletzlichkeit. Mir geht es ganz genauso.
Aber, das darf man nicht vergessen, sein Zustand hat sich im Lauf der Jahre immer weiter verschlechtert. Die Handlung blieb nicht statisch – seine älteste Tochter, die im ersten Buch acht Jahre alt war, ist nun zwanzig.
Von daher ist es gut möglich, dass der nächste Band für die nächste Zeit erst einmal der letzte bleiben wird.

Was nicht heißt, dass ich aufhöre zu schreiben.
Ganz im Gegenteil: Aktuell recherchiere ich schon für ein neues Buch mit einem (zum Zeitpunkt des Erscheinens nicht mehr ganz) neuen Protagonisten. Eine ausgesprochen starke Frauenfigur wird es außerdem geben. Lassen Sie sich überraschen.

DANKE für das Gespräch!
(mit Michael Robotham telefonierte sehr gern Anfang Februar 2018 Chefredakteurin Michaela Pelz)

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