Interview mit Ingrid Noll

Ingrid Noll (Foto: Andrea Steubesand)

Über so einiges sprach und lachte die Autorin in Köln mit Redakteurin Andrea Steubesand: Wie und wo sie aufwuchs und was Freundschaft unter Frauen bedeutet, bespielsweise. Oder darüber, was das Schöne an Lesereisen ist und warum sie den Kontakt mit ihren Fans ganz besonders genießt. Außerdem verrät Ingrid Noll, wie sie arbeitet und welche ihrer Übersetzungen sie „wirklich schick“ findet. Und sie berichtet von ihrer Begegnung mit einem Polizisten, die alles andere als beruflicher Art war…

In Ihrem Buch „Selige Witwen“ greifen Sie erneut die Freundschaft zwischen Cora und Maja auf. Wie wichtig sind Frauenfreundschaften für Sie selber?

In meinem Leben waren Frauenfreundschaften immer ganz wichtig. Ich habe zwei Schwestern und bin in China aufgewachsen; lange Zeit ging ich in keine Schule und hatte daher auch keine Freundinnen, deswegen waren meine Schwestern (außer den Eltern) die wichtigsten Bezugspersonen. Sie sind es auch bis heute geblieben. Wir sind im Alter ziemlich nah aneinander. Als ich dann später eine Schule besuchte, waren Schulfreundinnen etwas ganz Besonderes für mich – diese Freundschaften sind übrigens bis heute erhalten geblieben, weitere kamen hinzu.

Ich habe eine Tochter, die auch immer dicke Freundinnen hatte, das habe ich gerne gesehen und fand sehr reizend und anrührend.

Manche Frauen behaupten ja, es gäbe gar keine echte Frauenfreundschaft: „Wenn ein Mann dazwischen kommt, ist es vorbei damit“, und das blöde Wort „Stutenbissigkeit“ wird angeführt. Es gibt natürlich immer Frauen, die sich nicht vertragen, aber das Gegenteil ist häufiger.

Haben Sie vor, noch mal was über die beiden Freundinnen Cora und Maja zu schreiben?

Eigentlich nicht, aber das hatte ich im Grunde ja auch vor diesem Buch nicht geplant, insofern …

Im Moment bin ich ganz zufrieden mit diesem Roman und habe keine Fortsetzung im Kopf, aber man soll nie „nie“ sagen …

Das ist ja nicht ihre Generation, die Sie da beschreiben. Hatten Sie Ihre Tochter im Kopf, beim Schreiben?

Meine Tochter ist ja auch schon viel älter. Meine drei Kinder sind: 47, 49, 51 Jahre alt. Das ist eine ganz andere Generation als die der beiden Mädchen.

Aber ob man es nun glaubt oder nicht – ich war ja auch mal jung (lacht), und wie man an manchen Erlebnissen erkennen kann, nicht immer brav.

Die Frage drängte sich auf, weil die beiden Figuren so authentisch sind. Man hat das Gefühl, als hätten Sie viel Kontakt zu dieser Altersgruppe.

Ich bin gern mit jungen Leuten zusammen, da habe ich eigentlich nie Probleme gehabt. Ganz allgemein komme ich gut mit Menschen klar – egal ob sie 15 oder 35 sind …

Hat es Ihnen besondere Freude bereitet, mit Kathrins Mann Erik gerade einen Juristen, der ein Gesetzeshüter sein sollte, in kriminelle Machenschaften zu verwickeln?

Ja. Das gibt es ja immer wieder, Juristen, die eigentlich kriminell sind. Das hat mich schon fasziniert, klar.

Mit Ihrem neuen Buch gehen Sie auf eine ausgiebige Lesereise – Dutzende von Städten stehen in den nächsten Monaten auf dem Plan. Bedeuten diese Termine eher „Lust“ oder „Last“ für Sie?

Ich mache keine Lesereisen, auf denen ich 14 Tage jeden Tag woanders lese, das wäre dann – glaube ich – wirklich eine Last. Ich hab‘ eine Mutter, die grade hundert geworden ist und bei uns im Haus wohnt, und mein Mann wird jetzt siebzig: Ich will die beiden nicht über lange Zeit alleine lassen. Das heißt, ich mache in der Regel nicht mehr als drei Lesungen am Stück, also drei Städte hintereinander – dann bin ich am Wochenende wieder zu Hause. Oder manchmal nur eine einzige. Und dann ist es durchaus ein Vergnügen.

Gelegentlich gibt es natürlich Sachen, die stören können: wenn man den Zug verpasst oder etwas anderes schief läuft, aber eigentlich finde ich es schön. Heute zum Beispiel nach Köln zu kommen, noch einen kleinen Stadtbummel zu machen, ein, zwei Interviews, dann eine Lesung … Und morgen geht’s weiter nach Dortmund, dort habe ich eine liebe Kollegin und Freundin, Sabine Deitmer, mit der ich mich treffen werde … Das sind dann die kleinen Bonbons auf den Reisen.

… wenn Sie dann auch Freunde in den verschiedenen Städten haben …

Manchmal suche ich sogar diese Orte danach aus (lacht).

Haben Sie – entweder bei den Lesereisen oder mittels Fanpost – Kontakt zu Ihren Lesern? Sprich: Schüttet Ihnen schon mal die Eine oder der Andere ihr/sein Herz aus? Oder gibt es andere (lustige) Anekdoten im Zusammenhang mit Ihren Lesern?

Ich bekomme sehr viel Post. Davon ist die eine Sorte natürlich vergleichsweise uninteressant, die wollen Autogramme haben oder schicken ein Buch und möchten etwas hineingeschrieben haben. Dasselbe gibt es natürlich auch bei einer Lesung.

Aber dann bekomme ich auch Briefe – entweder zum Inhalt meiner Bücher oder zum eigenen Leben – die finde ich immer sehr interessant.

Nach einer Lesung gibt es immer ein paar Leute, die mit mir noch sprechen wollen, entweder weil sie selber schreiben oder ihnen irgend etwas besonders gefällt oder hin und wieder auch, um mit mir zu schimpfen, das gibt es auch (lacht)

Aber es hat sich noch niemand Tipps geholt, wie er seinen Mann um die Ecke bringen kann …

Nein, dafür wäre ich wahrscheinlich auch ungeeignet.

Phantasie genug hätten Sie aber doch bestimmt!

Ja, aber das ist Theorie. Die Praxis sieht dann doch etwas anders aus.

1994 haben Sie den Preis des „Syndikats“ für den besten deutschen Krimi bekommen. Heute sind Sie selbst Mitglied im „Syndikat“, der Vereinigung deutschsprachiger Krimiautoren. Wie sieht Ihr Kontakt zu den Verbands-Kollegen aus?

Ich bin mit einer ganzen Reihe der Kollegen befreundet. Frauen wie auch Männer. Mit vielen bin ich so gut bekannt, dass wir uns gegenseitig unsere neuen Bücher schicken. Und einmal im Jahr trifft sich die ganze Bande zur sogenannten „Criminale“, dieses Jahr in meiner Nähe, in Mosbach am Neckar. Und da bin ich in der Regel dabei – nur letztes Jahr konnte ich es nicht schaffen, da war es in Essen. Diese Veranstaltung findet immer abwechselnd in einer Groß- und einer Kleinstadt statt. Da kommt es dann zu Kontakten und Gesprächen und zum Meinungsaustausch, das finde ich immer recht spannend.

Ihre Bücher wurden in eine Menge Sprachen übersetzt. Welche ausländische Übersetzung hat Ihnen die größte Freude bereitet?

Es muß schwer sein, z.B. koreanisch zu lesen. Natürlich kann ich solche exotischen Sprachen nicht lesen. In ein paar gucke ich natürlich rein – Englisch habe ich etwas ausführlicher gelesen, Französisch nur ein wenig, Spanisch und Italienisch mal ein bisschen reingesehen … Aber ich kann diese Sprachen alle nicht besonders gut, deswegen kann ich gar nicht beurteilen, ob es gut oder schlecht übersetzt ist.

Das koreanische Buch macht mir Freude, weil es so schräg aussieht. Wenn ich meine Übersetzungen in die Hand nehme, dann kann ich zunächst einmal nur vom Äußeren ausgehen. Da erfreuen mich manche gar nicht, weil sie kitschig aufgemacht sind, andere wiederum, wie das Koreanische (lila-rosa mit goldener Schrift), die finde ich richtig schick und das Japanische gefällt mir auch sehr gut, weil es eben von hinten anfängt. (lacht)

Hätten Sie je gedacht, dass Sie auch im Ausland so erfolgreich sein würden?

Ich bin nicht unbedingt überall erfolgreich, wo es eine Übersetzung gibt. Das kann man nicht behaupten. Ich denke „erfolgreich“ bin ich bei unseren nächsten Nachbarn, – klar, im deutschsprachigen Raum, in der Schweiz und in Österreich, aber auch zum Beispiel in Dänemark, Schweden, Holland. Es sind Länder, die uns auch kulturell nahe stehen.

Aber ich habe keine Ahnung, ob eine bulgarische Übersetzung ankäme. Ich glaube eher nicht …

… was wahrscheinlich mit der Kultur zusammenhängt.

Ich denk‘ schon. Also man sagte mir, Nord- und Süditalien sei bereits ein ziemlicher Unterschied. In Mailand haben sie einen ähnlichen Geschmack wie wir, und in Sizilien ist wahrscheinlich mein Frauenbild sehr verdacht-erregend. (lacht)

Waren Sie selbst schon einmal in einen Kriminalfall verwickelt?

Nein, gar nicht. Wenn es so wäre, würde ich es jetzt auch zugeben.

Allerdings erinnere ich mich daran, wie ich mit 15 Jahren auf einem Fahrrad ohne Beleuchtung unterwegs war. Und es war dunkel. Plötzlich schnappte mich ein Polizist und hielt mich hinten am Gepäckträger fest, so dass ich absteigen musste. Er sagte: „So geht das ja nicht, mein Fräulein! Sagen Sie mir Name und Adresse..“ Er zückte sein Notizbuch und wollte alles aufschreiben. Und während er das wollte, sprang ich auf mein Rad und flitzte auf und davon. Er rannte noch hinter mir her und schrie immer: „Dich krieg ich noch! Dich krieg ich noch!“ Hat er aber nicht …

Es war also eine eindeutig kriminelle Handlung, aber ohne Konsequenzen.

Ist schon ein neues Buch in Arbeit?

Ich habe gerade viel zu tun: Es gibt eine Menge Lesungen und Interviews, auch zu Hause, und kleinere Schreibsachen, die ich versprochen habe – hier ein Artikel, da eine Kurzgeschichte, kleine Glossen o.ä. Und das mache ich jetzt erst mal.

Eine neue Romanidee meldet sich von alleine. Irgendwann klopft es an – in der Badewanne oder auch im Traum oder im Urlaub – also eigentlich nicht, wenn ich sage, jetzt muss ich, jetzt soll es unbedingt sein … Dann funktioniert es nicht. Es kommt ohne Druck, und da kann ich auch Geduld haben.

Fällt Ihnen der Teil einer Geschichte ein, um den Sie dann die weitere Handlung „stricken“?

Nein, so fange ich eigentlich nie an. Ich beginne immer mit den Personen. Ich muss meine Figuren kennen, bevor ich einen Anfang schreibe. Und von der Hauptperson gehe ich aus. Die Handlung ergibt sich mehr oder weniger beim Schreiben. Ich kenne also erst die Hauptperson, die Nebenfiguren kommen auch dazu, dann hetze ich sie aufeinander und schon entwickelt sich eine ungute Beziehung. Danach muss ich, wie auf dem Schachbrett, ein bisschen herumprobieren, so oder so? Nein, das ist nicht gut, lieber ein anderer Zug!

Dabei gehe ich davon aus: Was kann ich meiner Protagonistin zutrauen? Was ist noch glaubwürdig? Es ist natürlich alles immer haarsträubend, das weiß ich, aber die Gefühle sollen wenigstens authentisch sein. Der Plot mit den Todesfällen kann ruhig ein bisschen wahnsinnig sein.

Aber was die Personen empfinden, Trauer oder Verstörung oder Rachsucht, Gier, Neid – all diese Charaktereigenschaften und die Gefühle, die dazu gehören, sollen stimmig sein.

Da es sich bei uns um eine Internet-Publikation handelt, hier die obligatorische Frage dazu: Nutzen Sie das Medium? Und wenn ja, nennen Sie uns doch bitte Ihren ganz persönlichen Surftipp.

Am wichtigsten ist für mich der Versand von elektronischer Post. So stehe ich in Kontakt mit vielen Kollegen und Freunden, all denen, die inzwischen eine Email-Adresse haben.

Dann benütze ich das Internet auch sehr gerne, um mir meinen Fahrplan zusammenzustellen, denn das habe ich dauernd nötig. Das ist sehr praktisch.

Gelegentlich gucke ich auch schon mal, z.B. jetzt: Bin ich auf der Bestsellerliste? Da kann ich schnell und bequem beim Spiegel nachschlagen.

Sonst surfe ich aber eigentlich nicht viel. Sprich: Ich verbringe keine Stunden im Internet, und zwar aus folgendem Grunde: Ich muss sowieso sehr viel am Bildschirm arbeiten. Ich habe empfindliche Augen, mein Rücken ist auch nicht mehr der beste …

Nur zum Rumspielen benütze ich das Internet nie. Dann will ich die Augen und den Buckel lieber schonen.

Außerdem weiß ich, dass es zur Sucht werden kann, und da will ich mich nicht involvieren lassen.

Zum Abschluss eine fast „ketzerische“ Frage. Wie sieht es aus, könnten Sie sich vorstellen, das Genre komplett zu wechseln?

Jetzt, wo meine Enkelin dreizehn ist, denke ich schon daran, dass sie einmal ein hübsches Jugendbuch kriegen soll. Und wer weiß, wenn es gut gerät, dann können es auch andere Kinder lesen.

Wir danken für dieses Gespräch!

Mit Frau Noll sprach unsere Redakteurin Andrea Steubesand.

(Köln, 7. März 2001)

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