Mördchen fürs Örtchen

 

In manchen Kulturen gilt das Gespräch darüber als unfein – Vertreter einer bestimmten Generation tun nichts lieber, als über ihre Verdauung zu sprechen.

Einen wirklich würdigen Rahmen bekommt das Thema samt Örtlichkeiten und Zubehör aber erst in dieser unglaublich vergnüglichen Anthologie, bestehend aus, wie es in der Ankündigung heißt: „25 kurzen Kabinettstückchen mit genau der richtigen Länge für die Verrichtung eines entspannten Geschäfts!“

W.C. Schüssel (Hrsg.)
Mördchen fürs Örtchen
KBV TB
ISBN: 978-3-95441-659-2

Tatort Toilette – Verlassen Sie diesen Ort bitte so lebendig, wie Sie ihn betreten haben!

Dass Klopapier ein Luxusgut ist, haben wir inzwischen leidvoll erfahren müssen. Manch einer hätte sogar dafür gemordet! Egal ob Autobahntoilette, Herzhäuschen, Porzellanpott, Dixi-Klo oder High-Tech-WC … Reißverschluss, Klobürste und Wasserspülung liefern den Soundtrack für diese spannenden, schrägen oder schwarzhumorigen Kriminalstorys, die Nina George, Klaus Stickelbroeck, Tatjana Kruse, Carsten Sebastian Henn, Judith Merchant, Elke Pistor, Regula Venske, Peter Godazgar, Anna Schneider, Petra Busch, Ralf Kramp und viele andere deutschsprachige Krimi-Stars verfasst haben.

Da wird die Sitzung zum spannenden Vergnügen, denn in der Keramik-Abteilung spielt sich mehr Kriminelles ab, als man gemeinhin vermuten sollte. Geldwäsche, Raub, Mord … Die Phantasie der Autorinnen und Autoren sprudelt bei diesem Thema munter wie die Toilettenspülung!

25 kurze Kabinettstückchen mit genau der richtigen Länge für die Verrichtung eines entspannten Geschäfts!

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Als „schönste Nebensache der Welt“ gilt zwar eine ganz andere Tätigkeit – und doch nimmt bereits ab dem Zeitpunkt, an dem der ganz kleine Minimensch ein Windel- oder Toilettentraining absolviert, die Beschäftigung mit den eigenen Ausscheidungen, aber auch dem Ort dieser Verrichtung einen immensen Stellenwert im Leben ein, was sich ab dann niemals ändert. Nicht umsonst gehen Frauen häufig zu zweit aufs Klo, werden nirgendwo Geschlechterunterschiede so gnadenlos ignoriert wie beim Kapern der Männer-WCs in Skihütten oder auf Volksfesten und sind in der Theaterpause diejenigen im Vorteil, die sich strategisch schon vorher einen Überblick über die Lage der Toiletten verschafft und außerdem flinke Beine haben.

Kurzum: Keiner kommt am Örtchen vorbei, das schon längst nicht mehr immer und überall „still“ ist – im Gegenteil“ Schallt doch aus so mancher Kabine, nein, nicht die in anderen Ländern übliche, Geräuschvertuschungsmusik, sondern hier ein True-Crime-Podcast, dort ein vorgelesener Zeitungsartikel. Kein Wunder also, dass die literaturaffine Welt auf all die wunderbaren „Örtchen-Mördchen“ gewartet hat – und höchst erfreut ist über die Neuauflage 2023, zwölf Jahre nachdem Petra Busch sich das Thema 2011 beim ersten Erscheinen ausgedacht hatte.

So warten nun also zwei Dutzend raffinierter Kurzgeschichten und Gedichte darauf, an den unterschiedlichsten Orten – und, ja, auch „DA“ – konsumiert zu werden. Sie umfassen die komplette Bandbreite mörderischer Methoden und Mittel rund um den Sanitärbereich, spielen sich auf Dixi-, Plumps-, Autobahn-, Kaufhaus- oder Schulklos ab und auch eine Zugtoilette darf natürlich nicht fehlen (mit der unschönen Nebenerscheinung, dass man nach Tatjana Kruses Warnung „Erste-Klasse-Pinkler leben gefährlich“ längt nicht mehr so unbeschwert aufs Eisenbahn-OO geht, sondern lieber die Beine zusammenkneift. Bis zur Erleuchtung, dass ein Wechsel in die zweite Klasse die ultimative Lösung darstellen könnte. Welche Erleichterung damit verbunden ist, weiß nur der, der auch schon einmal unter dem treibenden Einfluss von Ingwerwasser verzweifelt auf die Möglichkeit zum Auslass desselben gewartet hat).

Es treffen sich aber auch Kontrahenten zum Showdown im Abort der Markthalle oder die Nutzung der heimischen Örtlichkeiten wird mindestens einer der bewohnenden Personen zum Verhängnis, wie es W.C. Schüssel so anschaulich in seinem „Klo-Sudoku“ beschreibt. Absolut köstlich auch die Kettenreaktion, die derselbe Autor in „Klimpergeld“ so anschaulich beschreibt, jener Geschichte, in der eine fleißige Klofrau im Wirtshaus-WC endlich einmal bekommt, was ihr zusteht.

Sabine Trinkaus wiederum nimmt das Thema zum Anlass, einen genaueren Blick auf diverse aufstrebende Dienstleistungs- und Industriezweige rund um die Darmgesundheit zu werfen und das unerquickliche, aber leider unvermeidbare Ende ihrer federleichten und höchst amüsanten Geschichte völlig folgerichtig mit dem Titel „Nützt ja nix“ auf den Punkt zu bringen. Eine interessante neue Stimme verspricht Debütant Eberhard W. Forstner zu werden, der beim „Tod einer Zecke“ mit Sätzen wie Peitschenhieben einen spektakulären Mord in aller Öffentlichkeit beschreibt, der dem Opfer nicht nur das Leben, sondern auch die Würde nimmt, wobei am Ende nicht klar ist, was schwerer wiegt. Getoppt wird das nur vom Schicksal des Protagonisten in Carsten Sebastian Henns „A-C-G-E“, dessen außerordentliche Erinnerungen und Erlebnisse vor, während und nach einer entscheidenden Sitzung sich an keinem geringeren Ort abspielen als in Wacken!

So viel mehr gäbe es zu sagen – aber am besten liest man sie einfach selbst und zwar alle, die schwarzhumorigen Kabinettstückchen, die alle große Unterhaltung garantieren – und ebensolche Erleichterung, wenn es mal wieder den Richtigen erwischt hat!

Miss Sophie

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