Ursula Poznanski: Shelter

Shelter von Ursula Poznanski – aktueller könnte ein Titel nicht sein. Ganz großes Kino und ein Höllenritt von einem Buch.
Beim Lesen stellt sich eine Mischung aus Faszination und Furcht ein, vor allem vor dem Hintergrund der letzten anderthalb Jahre, als man im Schnelldurchlauf erleben konnte, wie sich durchaus aufgeklärte und bis dato nie durch krude Ideen aufgefallene Menschen Narrativen von alternativen Realitäten hingaben und es noch tun.

Dabei beginnt alles so spielerisch, fast lustig: Fünf Freunde überlegen sich nach einer Geburtstagsparty, aus einer Laune heraus, morgens um zwei eine Verschwörungstheorie über Aliens, die auf dem besten Weg sind, die Weltherrschaft zu übernehmen. Eigentlich nur, um es den „Spinnern“ zu zeigen, jenen edlen Spendern von Heilsteinen und Pendel.
Ferdinand, genannt „Nando“ macht Medizin, Till Jura, Benny will Schauspieler werden, Darya studiert Kunst und Liv Psychologie. Sie ist es auch, die das Ganze in ein Thema für ihre Bachelorarbeit münden lassen möchte: Den Einfluss von geschickt platzierten „Alternativen Wirklichkeiten“ auf beliebige Nutzer von Tiktok, Insta, Facebook, Twitter und Reddit.

Die Sache verbreitet sich weltweit

Fast generalstabsmäßig wird die Sache geplant: Sie kreieren ein Symbol, ein blutroter Kreis, in den ein Halbkreis greift, mit dem sie in nächtlichen Sprayaktionen die ganze Stadt überziehen, legen falsche Social-Media-Accounts an, die sie auch fleißig bespielen, um die Stimmung anzuheizen, posten seltsame Fotos und kryptische Andeutungen.
Alles das klingt anfangs extrem abgedreht und nach einer Menge Spaß, an dem man sich gern mit verrückten Ideen beteiligen würde. Doch plötzlich nimmt die Sache Fahrt auf – quer über den Globus wird das Zeichen gesichtet, was ein Beweis dafür ist, dass sich Menschen der „Bewegung“ angeschlossen haben, die sein Kennzeichen verbreiten, ohne die geringste Ahnung zu haben, was es überhaupt bedeuten soll.
Immer wilder werden die mit dem als „OC“ gedeuteten Symbol verknüpften Theorien, die sich das Quintett ausdenkt – auf der Suche nach einer neuen Heimat sollen Aliens von menschlichen Wirten Besitz ergriffen haben. Die Bezeichnung dafür: „Shelter“, also „Schutzraum“.

Ein unbeteiligter Fremder schaltet sich ein

Doch auf einmal mischt ein großer Unbekannter mit, der sich selbst Octavio nennt – er kapert die Verschwörungstheorie, befeuert sie mit eigenen Heils- und Unheilsbotschaften und ab dann ist alles Spielerische dahin: Freundschaften bröckeln, seltsame nächtliche Geräusche verunsichern Benny und führen bei ihm zu Alpträumen, auch stehen plötzlich Verfolger vor der Tür, die in Benny und seinen Freunden „Captors“ ausgemacht haben wollen, also feindliche Kräfte, die sich ebenfalls einer menschlichen Hülle bemächtigt haben, jedoch, um den Shelters zu schaden …
Manche der von den Theorien „infizierten“ Menschen jeglichen Alters verändern ihre Persönlichkeit – Schüchterne werden mutig, gehen an die Öffentlichkeit, um die frohe Botschaft zu verkünden, Zurückhaltende werden aggressiv. Erste Gruppen treffen sich im echten Leben, rufen zu Hetzjagden gegen die vermeintlichen Widersacher auf. Es kommt zu Gewalttaten und längst lässt sich die Lawine nicht mehr stoppen – alle Bekundungen seitens der Initiatoren, die Geschichte sei von A bis Z erfunden, laufen ins Leere, im Gegenteil, sie befeuern den Glauben der Anhänger eher noch.

Es wird lebensgefährlich

Benny, der einen Nebenjob in einem Café gefunden hat, ist seines Lebens nicht mehr sicher – bei einer schlimmen Auseinandersetzung entkommt er nur um Haaresbreite mit viel Glück und einem gewissen Talent seinen Angreifern. Gleichzeitig wird er direkt von Octavio herausgefordert, sich auf die Suche nach diesem zu begeben und ihm in einer persönlichen Begegnung gegenüberzutreten.
Nach massiven Drohungen, tätlichen Angriffe und Warnungen in Form von toten Tieren ist nichts mehr lächerlich oder witzig. Benny hat nur noch eine Chance: Er muss in die Konfrontation gehen, lässt sich auf einen gefährlichen Deal ein – es scheint, als liefe er damit sehenden Auges mitten ins Verderben.
Was dann folgt, bringt eine weitere Ebene in die Geschichte, die schon bis dahin nervenzerfetzend genug ist: Rettung und Verderben liegen plötzlich nur noch einen Hauch voneinander entfernt und es bleibt nicht bei einem einzigen Showdown.

Mehr als gelungen und voller Denkanstöße

Am Ende stellt sich die Frage, wie ein „harmloser Spaß“ so aus dem Ruder laufen kann und welche fürchterlichen Kettenreaktionen ausgelöst werden, wenn man sich verrennt und schrecklich in die Irre geht.
Das Buch ist gleichzeitig aber auch eine Abrechnung mit all jenen Scharlatanen aus dem Grenzbereich der Esoterik, die bewusst die Gutgläubigkeit der Menschen ausnutzen, und auch ein eindrücklicher Beweis, wie stark der eigene Glaube, die gefühlte Wahrheit bestimmter Ereignisse beeinflussen kann.
Fazit: „Shelter“ ist mehr als nur gelungen. Man fiebert auf die Auflösung, denkt, es könne nicht schlimmer kommen und dann ist alles doch noch viel heftiger als gedacht. Ein Adrenalinstoß jagt beim Lesen den nächsten. Alles verselbständigt sich auf unglaubliche und unheimliche Weise. Und selbst nach dem, Spoiler, zum Glück für die meisten der Hauptfiguren „guten“ Ausgang ist nichts mehr, wie es wahr.
Ein Titel, den man sich merken muss, hervorragend geeignet für ein junges wie auch erwachsenes Lesepublikum, der in mehr als einer Hinsicht Denkanstöße liefert.

3 Antworten zu “Ursula Poznanski: Shelter”

  1. Parkett schleifen

    Liebes Krimi-Forum-Team,

    ich bin auf eure Rezension zu „Shelter“ von Ursula Poznanski gestoßen und musste einfach einen Kommentar hinterlassen. Diese Autorin versteht es wirklich, Spannung und Nervenkitzel in ihre Geschichten zu packen!

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