Die Wahl-Berlinerin hat allen Grund zur Freude – preisgekrönt ab dem ersten Krimi, „Mörder“quoten bei den Vernau-Verfilmungen (zu denen sie selbst die Drehbücher schrieb), bald fällt die erste Klappe für den ersten Beara-Film (Drehbuch: Natürlich E. Herrmann) und am 26. Januar erscheint mit „Der Schneegänger“ Band Nr. 2 der Reihe.
Hier verrät die Autorin warum der Protagonist kein Maikäferforscher ist, was der Kaiserenkel mit dem Roman zu tun hat und wie Sanela in Bosnien und Kroatien ankommt.
Frau Herrmann, wie ist es einen Wolf zu streicheln?
Hab ich noch nicht…
Würden Sie das gern einmal tun?
Nein. Es sind ja Wildtiere, und vor denen habe ich einfach einen riesigen Respekt. Man wird ihnen auch in freier Wildbahn nie so nah begegnen, und wenn doch, würde ich sagen: Gaaaaanz langsam das Weite suchen …
Die Frage kommt natürlich nicht von ungefähr, denn einer der Protagonisten Ihres neuen Romans ist Wildbiologe, der sich der Wolfsforschung verschrieben hat. Wie sind Sie „auf den Wolf gekommen“?
In Brandenburg wird die Rückkehr der Wölfe kontrovers diskutiert.
Auf der einen Seite sehen die Natur- und Umweltschützer, die diese Entwicklung (im Moment sind es, glaube ich, fünf Rudel) natürlich begrüßen und wie im Wolfsbüro LUPUS auch so gut wie möglich beobachten und dokumentieren.
Auf der anderen Seite stehen die Jäger und Bauern, stellvertretend für den Menschen schlechthin, der mit Wölfen uralte Ängste verbindet.
Im Moment haben beide Seiten gute Argumente, für eine friedliche Koexistenz braucht es wohl noch Zeit.
Ich finde solche Entwicklungen sehr interessant. Die Rückkehr dieser Wildtiere heißt ja, unsere Umwelt bietet ihnen wieder Lebensmöglichkeiten. Wer sich mit ihnen beschäftigt, hat einen sehr interessanten Beruf – interessanter vielleicht als Maikäferforscher … was jeder Maikäferforscher natürlich vehement bestreiten würde! Ich mochte das Setting, und natürlich auch die nicht unumstrittene Situation. Sie bietet Reibung und eine leidenschaftlich geführte Diskussion, ich muss mir also nicht erst mühsam etwas einfallen lassen, warum jemand ein interessantes, aber durchaus von vielen anderen auch distanziert betrachtetes Leben führt. Ideale Voraussetzungen für einen Charakter wie Darko.
Darko trägt ja (wie im Gänsehaut-Prolog nachzulesen) eine Waffe, die er auch zu benutzen weiß.
Wie steht es mit Ihnen? Haben Sie „Schuss-Erfahrung“?
Ja, ich hatte schon eine scharfe Waffe in der Hand.
Und wie fühlt sich das an?
Und es war für mich kein gutes Gefühl. Ich möchte so etwas auch nicht im Haus haben.
Bogenschießen ist etwas ganz anderes. (Über ihre Tochter und deren Faszination für Mittelaltermärkte und dann für „Die Tribute von Panem“ kam Elisabeth Herrmann vor anderthalb Jahren zum Bogenschießen im Verein – A.d.R.)
Allein die Zeit, bis so ein Teil zusammengesetzt ist! Jeder Einbrecher lacht sich einen Ast wenn ich ihm sagen würde: „Könnten Sie mir zehn Minuten Zeit geben, bis ich die adäquate Waffe gegen Sie aufgebaut und eingerichtet habe?“ …
Die Pfeile sind aus Aluminium und können, unsachgemäß eingesetzt, verletzen. Deshalb sind die Sicherheitsmaßnahmen im Verein auch sehr hoch. Aber als echte Waffe zum Schutz oder zum Angriff sind sie nur sehr bedingt geeignet.
Das Bogenschießen ist ein Sport, der vor allem Leuten, die wie ich viel am Schreibtisch sitzen, guttut. Schultern, Rücken, Brustkorb – alles wird gedehnt, geweitet. Konzentration aufs Wesentliche, Genauigkeit im Ablauf – das ist außerdem gut für den Kopf. Und einfach mal unter Leuten sein.
Kann man mit einem Bogen eigentlich auch auf Wölfe schießen?
Klar kann man mit Pfeilen auf Wölfe schießen. Man kann auch Steine auf Panzer werfen. Aber ob es was bringt?
Ein kräftiger Mann mit einem guten Zug, einem Klasse-Bogen und spitzen Pfeilen wird das Tier auch durchaus zur Strecke bringen können. Früher wurde so gejagt, in manchen Ländern sogar heute noch, also ist das durchaus möglich.
Ich selbst kann noch nicht mal auf Gummitiere schießen … obwohl ich die Jagd, verantwortungsvoll und fachmännisch, durchaus gutheiße.
Ein Hirsch, ein Reh, ein Wildschwein hat nie einen Maststall von innen gesehen, wurde nicht mit Antibiotika gefüttert und hat die Via Dolorosa, den Schlachttransport, nicht durchleiden müssen.
Vorhin erwähnten Sie das „Institut für Wolfsmonitoring und -forschung“ LUPUS, das Sie – wie der Danksagung im Buch zu entnehmen ist – zu Recherchezwecken aufgesucht haben.
Wie geht es dort zu und wäre das eine Tätigkeit, die Sie selbst sich (zumindest eine Zeitlang) beruflich vorstellen könnten?
Nein. Ich bin kein Mensch, der bei Wind und Wetter stunden- oder tagelang durch die Wälder streift. Es gibt Jobs, bei denen ich durchaus froh bin, dass andere sie übernehmen.
Bei LUPUS geht es sehr wissenschaftlich und recht unsinnlich zu. Weder Wolfs- noch Schafspelze, eine klassische Forschungsstation eben.
Aber ich war sehr froh, dass ich dort einen Einblick in die Arbeit bekommen sollte. Vor allem das Besendern hat mich interessiert. Diesen Aspekt der LUPUS-Arbeit konnte ich sogar an einer entscheidenden Stelle in mein Buch einbauen.
Das sind wunderbare Momente, wenn man merkt: Die Recherche hat der Geschichte wirklich auf die Sprünge geholfen.
Neben dem Wald als wichtigem Schauplatz des Romans gibt es aber auch noch den Großindustriellen-Haushalt, in den sich Sanela undercover als Dienstmädchen einschleicht …
Nun ist Elisabeth Herrmann ja für ihre akribische Recherche (nicht nur virtuell, sondern fast immer persönlich) bekannt – wohin wendet man sich, wenn man sehen und erleben will, wie „die oberen Zehntausend“ leben?
Ich kann immer noch sehr aus meiner Erinnerung an meine Zeit als Journalistin schöpfen. Ich war bei dem Kaiserenkel zu Besuch, ich habe Landadelige bei ihrer Rückkehr auf ihre brandenburgischen Güter begleitet, und ich habe im Laufe meines Lebens auch den einen oder anderen Villenbesitzer persönlich kennengelernt.
Ich bin zwar nicht Mitglied eines Tennis- oder Golfclubs, aber ich habe dort Interviews geführt oder Freunde getroffen.
All dies, zusammen mit Zeitungslektüre (sehr interessant war die Aussage der Albrecht-Witwe vor Gericht, für was ihr verstorbener Gatte seine Milliarden ausgegeben hat), ergibt ein Bild, das dann nur noch mit Phantasie und Spucke gemalt werden muss … man hüte sich vor Klischees und Plattitüden. Nicht alle Reichen frühstücken Kaviar! Wenn sogar die Queen morgens nur Porridge zu sich nimmt, und der „normale“ Millionär in den seltensten Fällen wie Flavio Briatore durch den Grunewald streift, kann man sich, glaube ich, ganz gut ein Leben hinter diesen hohen Mauern vorstellen.
Was wäre für Sie persönlich am reizvollsten, käme die „Pling“-Fee um die Ecke und gäbe Ihnen die Möglichkeit, ein paar Tage / Wochen / Monate ein Leben im Luxus zu führen?
Eine Weltreise.
Nun haben wir viel über den äußerlichen Rahmen der Geschichte gesprochen, die ja – wie in einem Kriminalroman oft nicht zu vermeiden – eine außerordentlich tragische ist, denn es geht um ein mehrere Jahre zuvor spurlos verschwundenes Kind, dessen Leiche nun gefunden wird.
Wie schwer oder leicht ist es für Sie als Mutter einer Tochter über tote Kinder zu schreiben? Oder gehört das einfach zum Job und macht keinen Unterschied, sobald Sie und das Thema sich gefunden haben?
Es gehört tatsächlich zu meinem Job.
Was nicht dazu gehört: Der Tod eines Kindes oder das genüssliche Ausschlachten brutaler Szenen. Das werden Sie bei mir nicht finden.
Leider arbeitet ein Kriminalroman meistens mit Toten – es gibt wenig Thriller, in denen es um Steuerhinterziehung, Mundraub oder Einbruch geht.
Mich interessiert in diesem Fall weniger die Tat, sondern eher, wie es dazu kam und was Menschen tun, um nicht aufzufliegen.
Vor langer Zeit einmal habe ich am Telefon eine Geschichte von mir gepitcht – und sehe auf einmal, wie meine Tochter in Tränen ausbricht. Sie ertrug den Gedanken nicht, dass eine Mutter für ihr Kind in den Tod geht … das hat mir wieder einmal die Augen geöffnet, mit was man als Kriminalroman-Autorin eigentlich zu tun hat: Mit dem Leid und mit dem Tod.
Da ich allerdings selbst auch gerne Thriller lese, raubt mir eher die Spannung als die Beschäftigung mit dem Schicksal des armen Opfers den Schlaf.
Eine unglaublich tragische, aber auch hochgradig beeindruckende Figur ist Darko, der Wildbiologe (und Vater des Opfers).
Er hat selbst etwas Animalisches an sich (das spürt man schon beim Lesen! A.d.R. ;-), eine Mischung aus gefährlich, unzähmbar und dann wieder ganz behutsam, tief drinnen sicher auch verletzlich.
Ist es Zufall, dass er im weitesten Sinn dem polnischen Autoschrauber Jazek aus den „Vernau“-Krimis ähnelt?
Hmmmm …. da habe ich noch gar nicht drüber nachgedacht.
Aber jetzt, wo Sie es fragen – es gibt tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit. Vielleicht hätte Jazek noch Gedichte rezitieren müssen :))))
Womit wir wieder – nur als kurzer Exkurs – bei der unglaublich erfolgreichen Reihe um den Berliner Anwalt wären, die nicht nur in gedruckter Form Scharen von Fans besitzt, sondern vor allem durch die Verfilmungen mit Jan Josef Liefers in aller Munde sind.
Wie fühlt es sich an, einen solchen „Abräumer“ erfunden zu haben, dem man zutraut, „in Serie“ zu gehen (wie es etwa bei Wilsberg der Fall ist, dem Münsteraner Detektiv, ersonnen von Jürgen Kehrer, aber längst mit einem filmischen Eigenleben ausgestattet)?
Vernau ist ja schon eine Reihe, er wird aber definitiv keine Serie.
Ein Mal im Jahr ist völlig okay. Mehr Folgen wären aus meiner Sicht gar nicht gut. Vernau muss glaubhaft bleiben, das ist man m.E. nur, wenn jede neue Geschichte etwas einzigartiges hat.
Das kann man in einer Serie nicht halten. Es sei denn, man erzählt horizontal wie in Homeland oder Lund.
Solange ich die Drehbücher schreibe, wird es keine Vernau-Serie geben.
Bisher haben Sie alle Drehbücher der Vernau-Filme selbst geschrieben – wird das so bleiben?
Im Moment spricht nichts dagegen.
Im Zuge dieser Arbeit hat der Weg Sie häufiger weit weg geführt – etwa nach Kuba, wo der Mitte Januar ausgestrahlte „Mann ohne Schatten“spielte. Für den gab es allerdings keine literarische Vorlage, oder?
Nein, das ist ein Drehbuch ohne Romanvorlage gewesen.
Wer hat dann den Schauplatz ausgewählt? Sie? Herr Liefers? Henry Hübchen? Die Produktionsfirma? Der Sender?
Carlo Rola, der Regisseur, und Jan Josef Liefers.
Ich war ein halbes Jahr vor den Dreharbeiten dort und habe gemeinsam mit dem Filmteam Motivbesichtigungen gemacht. Erst dann wusste ich, welche Schauplätze auch im Film vorkommen werden. Nur von zuhause am Schreibtisch aus hätte ich das Drehbuch nicht schreiben können.
Wohin sind Sie in Sachen Vernau noch alles hingereist? Und wohin würden Sie gern noch gehen/fahren/fliegen?
Für „Versunkene Gräber“ war ich oft in Polen.
Für „Das Kindermädchen“ in Kiew.
Für „Die letzte Instanz“ in Görlitz und der Lausitz.
Gerade war ich in Israel. Tel Aviv wird im nächsten Vernau ein Schauplatz sein.
Mit dem „Schneegänger“ sind Sie aber erst mal in heimischen Landen geblieben. Veränderung zum ersten Band der Reihe hat es aber doch gegeben: Sanela Beara ist jetzt Studentin. Warum war der Streifendienst, mit dem sie im „Dorf der Mörder“ angefangen hat, nicht („gut“) genug?
Nun, sie will weiterkommen. Sie will Kommissarin werden. Dafür muss man auf die Polizeihochschule.
Ich finde diesen Werdegang hochinteressant. Da haben wir mal eine Ermittlerin, die nicht alles weiß und kann, sondern noch ganz am Anfang steht. Ich freue mich darauf, sie noch ein Stück zu begleiten.
Beim Interview zum ersten Band sagten Sie, dass da zuerst nur dieser Name war – entlehnt von einer Schulfreundin der Tochter.
Nun hat Sanela nicht nur eine komplette Biografie, sondern auch aufgrund ihrer Herkunft einen ganz eigenen Kosmos von Freunden, aber auch Vorlieben, Abneigungen, Gewohnheiten, Denkweisen …
War Ihnen von Anfang an klar, dass das zwangsläufig folgen würde, wenn Sie sich für einen ungewöhnlichen Namen aus einem anderen Kulturkreis entscheiden?
Ja, das ist mir klar. Man kann niemandem einen solchen Background geben, wenn er nicht eines Tages wieder ein Thema wird.
Allerdings: Nach dem „Schneegänger“ wird Sanela langsam aber sicher immer selbstverständlicher mit ihren Wurzeln umgehen. Im „Schneegänger“ war es nötig, sie genauer zu beleuchten, weil sie der Grund waren, weshalb KHK Gehring ausgerechnet eine Studentin zu den Ermittlungen hinzuzieht.
Das wird in Zukunft keine so große Rolle mehr spielen.
Gab es schon Lesungen in kroatischen Gemeindezentren oder ähnlichen Orten, an denen sich Exil-Kroaten in Deutschland treffen?
Was sagten diese über ihre fiktive Landsmännin? (oder heißt es „Landsfrau?)
Nein, die gab es noch nicht.
Aber „Das Dorf der Mörder“ ist in Kroatien erschienen. Da der Verlag Znanje auch mein Nachwort übersetzt hat, kamen sehr viele Zuschriften aus Bosnien und Kroatien in mein Facebook-Postfach. Einhellige Meinung: Sanela ist ein taffes Cookie! Das hat mich riesig gefreut.
Ich habe von meiner wunderbaren Kollegin Silvija Hinzmann viele Informationen über Exil-Kroaten bekommen, sodass ich glaube, Sanelas Background wird auch in ihrer Heimat als schlüssig angenommen.
Zwangsläufig muss jetzt die Frage folgen, ob wohl auch künftig noch Abenteuer auf diese sehr eigensinnige und eigenwillige, gleichzeitig einfühlsame und schlagfertige, kurzum ganz wunderbare Heldin warten werden?
Noch ein wenig Geduld, bitte :))
Ich arbeite in diesem Jahr an einem neuen Vernau und einem Jugendbuch. Erst danach werde ich mir wieder über Sanela Gedanken machen.
Wenn, dann wird die Hochschule wohl das Umfeld werden, in dem sich Dramatisches ereignen wird …
Aktuell steht erst mal „Der Schneegänger“ im Vordergrund. Gibt es eine Lesereise dazu?
Keine Lesereise, aber einzelne Lesungen.
Ich will sie ein wenig reduzieren, denn sie sind, anders als ich geglaubt habe, zum arbeiten nicht geeignet. Früher dachte ich: No Problem, setz dich in den Zug oder den Flieger und arbeite dort … aber das schaffe ich nicht, ich bin zu sehr abgelenkt.
Wo kann man Elisabeth Herrmann sonst noch sehen oder hören – live oder virtuell?
Nächste Woche auf dem roten Sofa von DAS! (NDR), und dann auf der Leipziger Buchmesse.
Und zum Schluß: Nach dem Roman ist vor dem … Roman? … Jugendbuch? … Film? Was steht aktuell auf Ihrem Terminplan ganz oben?
Ich arbeite gerade an zwei Drehbüchern. Für „Die siebte Stunde“ beginnen die Dreharbeiten Ende Januar, für „Das Dorf der Mörder“ Anfang März.
Dann dreht sich alles bis Herbst nur noch um den nächsten Vernau – und um meine Tochter. Im Juni ist ihr Auslandsjahr in den USA beendet, und wir werden gemeinsam ein paar Wochen auf Achse sein. Wer weiß, vielleicht wird dann endlich mein Traum von der Südsee wahr … :))
HERZLICHEN DANK FÜR DIESES GESPRÄCH.
(Mit Elisabeth Herrmann tauschte sich im Januar 2015 Chefredakteurin Michaela Pelz aus – immer wieder gern)