Die persönliche Begegnung bei einer ausgesprochen unterhaltsamen Lesung liegt zwar bereits mehr als viereinhalb Jahre zurück, aber man könnte ja trotzdem einfach versuchen, dem sympathischen Jan Seghers alias Matthias Altenburg kurz vor Jahresende ein paar Fragen zu stellen, vielleicht nimmt er sich im Januar ja ein bißchen Zeit … In weniger als anderthalb Stunden sind die knackigen Antworten da, die mit Handkäse anfangen und mit den “Dumpfnasen von Pegida” noch lange nicht enden.
Herr Seghers, wir sind jetzt sehr neugierig: Was gab es heute bei Ihnen zum Frühstück? Auch Backwaren?
Weihnachten ist vorbei; ab sofort gilt ein fast striktes Verbot von Kohlenhydraten. Stattdessen gibt es Handkäse, Möhren, Kohlrabi, Fisch, Steak. Na ja.
Natürlich muss jetzt die Frage erlaubt sein, ob Sie einen Werbevertrag mit jenem Bäcker haben, der in der “Sterntaler-Verschwörung” Marthaler und seine Leute oftmals vor dem Verhungern bewahrt, nachdem sie dort stundenlang Schlange gestanden haben, weil ein Autor genau diesen letzten echten Meister seiner Zunft in seinen Büchern über den grünen Klee gelobt hat …
Nein, ich habe keinen Vertrag mit dem genialen Bäckermeister Harry. Aber die Schlange ist – besonders am Wochenende – wirklich so lang, wie ich sie beschreibe. Ich finde, Harry sollte mir die gewünschten Brötchen immer ins Fenster stellen, damit ich sie dort wegnehmen kann. Schließlich mag ich nicht auch noch für meine kostenlose Werbung bestraft werden.
Diese (doppelte) Verbindung zwischen Dichtung und Wahrheit ist zweifelsohne amüsant.
Alles andere als ein Spaß ist es jedoch, wenn in Ihrem aktuellen Roman einem Ministerpräsidenten und seinem Stab fast jedes Mittel Recht zu sein scheint, um seine politische Gegnerin mit dem griechischen Namen auszubremsen.
Vor allem, wenn die Handlung im Frankfurt von 2008 angesiedelt ist.
Wie kam es zu Ihrer Entscheidung für diesen Stoff?
Ach, ich entscheide mich eigentlich nicht einfach für einen Stoff. Ich habe ja keinen Polit-Thriller geschrieben, sondern einen ganz klassisch gebauten Ermittler-Roman.
Eine Journalistin wird in ihrem Hotelzimmer erschossen. Wer ist sie? Wer hat das getan? Und warum wurde sie ermordet? Das ist das Ausgangsrätsel.
Aber ich mag es, wenn die Geschichten nicht allzu schlicht gestrickt sind. Wenn es nicht einfach um Eifersucht, Habgier oder Rache geht. Ein bisschen komplexer und spannender darf es schon zugehen.
Und da hat mir das Drama der hessischen Landtagswahlen aus dem Jahr 2008 reichlich Material für Verwicklungen geliefert.
Damals, am Tag nach den historischen Verlusten der CDU titelte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“: „Wahlverlierer sind die Flughafen AG und Kali + Salz“. Wenn es offensichtlich eine so enge Verbindung zwischen wirtschaftlichen Interessen und politischen Wahlen gibt, springt die Phantasie des Krimiautors sofort an.
Was sagte der Verlag, als Sie ihm das Thema anboten?
Zum Glück ist mein Verlag mit klugen Frauen besetzt, die sehr offen, sehr neugierig sind. Meine Lektorin hat sofort erkannt, dass der politische Hintergrund das Buch sehr viel reicher machen wird, dass man viele interessante Charaktere hat, von denen man erzählen kann. Ich wurde von Anfang an ermutigt.
Und, besonders spannend: Wie fielen die Reaktionen seit dem Erscheinen des Buches aus?
Haben Sie schon Post aus der einen oder anderen Parteizentrale bekommen? Oder vom LKA? Auch da gibt es Vertreter, die eine eher unrühmliche Rolle spielen …
Wie die Reaktionen sein würden, ahnte ich bereist, als ich für das Buch in allen politischen Lagern recherchierte. Manche meiner Gesprächspartner waren sehr auskunftsfreudig, anderen wurde schmallippig – je nach Interessenlage. Aber man kommt immer an die Informationen, die man braucht.
Der ehemalige Regierungssprecher von Roland Koch hat sich denn auch gleich nach Erscheinen als Literaturkritiker betätigt. Dass er nicht begeistert sein würde, hatte ich mir freilich vorher ausmalen können. Aber wer nicht bereit ist, sich Feinde zu machen, sollte besser keine Gesellschaftsromane schreiben – und als solche verstehe ich meine Krimis.
Sich an brisante aktuelle Stoffe heranzuwagen und dabei die eingeführten Figuren harmonisch und glaubwürdig mit deren eigenen Themen einzubinden, ist eine Kunst – die Sie beherrschen. Wie wird das in der Zukunft aussehen – wenn/falls es mit Robert Marthaler und seinen Weggefährten weitergeht? Welche Fälle werden ihm das Leben schwer machen – fiktive oder eher solche, die sich an die Wirklichkeit anlehnen?
Mir ist es immer lieber, ich finde etwas in der Wirklichkeit, als dass ich mir alles ausdenken muss. Was ich finde, muss ich nicht erfinden.
Dann freilich beginnt die Arbeit. Denn leider verläuft die Realität nicht nach jener Dramaturgie, die für den Krimi nötig ist. Ich brauche auf jeder Seite Spannung, Konflikte, interessante, widersprüchliche Figuren, die den Leser mit Überraschungen erfrischen und die dennoch glaubwürdig sind.
A propos Leser: In der Danksagung ist vom „ersten öffentlichen Massenlektorat in der Literaturgeschichte“ die Rede – was dürfen wir uns darunter vorstellen?
Ich war gebeten worden, vor großem Publikum zwanzig Seiten aus dem neuen Roman vorzulesen. Das war anderthalb Jahre bevor ich das Wort Ende unter das Manuskript geschrieben habe. Also habe ich die Leute aufgefordert, mir zu sagen, wenn ihnen ein Fehler auffällt, wenn etwas unlogisch ist oder unglaubwürdig.
Das war ein sagenhafter Luxus, plötzlich hatte ich 200 Lektoren vor mir sitzen. Als die Leute merkten, dass ich es Ernst meinte, kamen dann wirklich zahlreiche muntere Wortmeldungen.
Allein das hat mich vor mindestens vier Fehlern bewahrt. Es ist schön, alle Einwände rechtzeitig zu kennen.
Nun, sicherlich hat niemand der Fans einen Einwand dagegen, mehr Marthaler-Geschichten zu hören … Einige lose Enden gibt es ja auch beim aktuellen Buch durchaus – Tereza, die ihren Lebensmittelpunkt temporär verlegt … Täter, denen die Flucht gelingt … neue Figuren, die man als Leser gern einmal wiedertreffen oder über die man mehr erfahren möchte …
Bauen Sie solche Elemente während des Schreibprozesses im Hinblick auf die Zukunft absichtlich ein?
Nein, wenn ich den Kosmos eines Romans eintauche, denke ich nicht an das, was später kommen wird. Oder nur insofern, als ich keine Figuren sterben lasse, auf die ich selbst noch neugierig bin.
Trotzdem bleibt nach Beendigung eines Manuskripts fast immer etwas übrig, das nicht in die Geschichte gepasst hat. Ich glaube, Hemingway hat es gesagt: Man sollte immer etwas auf dem Teller lassen.
Abschließend die – fast schon obligatorische – Frage zu dieser Jahreszeit: Was wünschen Sie sich von 2015?
Persönlich wünsche ich mir nichts als Ruhe, freie Zeit, um monatelang am französischen Mittelmeer auf dem Rücken liegen zu können und die Sonne ihre Arbeit machen zu lassen.
Und wenn ich der liebe Gott wäre, würde ich die Dumpfnasen von Pegida in den Orkus stoßen, würde Banken und Konzerne vergesellschaften und eine Weltordnung schaffen, in der die Demokratie nicht vor den Türen der großen Unternehmen endet.
Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen!
Mit Matthias Altenburg mailte im Dezember 2014 Chefredakteurin Michaela Pelz.