ZDF Fernsehfilm der Woche: „Tage des letzten Schnees“

(Foto: ZDF/Marion von der Mehden)

Eindringlicher und sehenswerter ZDF-Fernsehfilm der Woche:

„Tage des letzten Schnees“.

Nach einem Roman von Jan Costin Wagner

Montag, 3. Februar 2020, 20.15 Uhr
(und in der Mediathek bis Ende April 2020)

Es schneit, als sich Lars Eckert (Barnaby Metschurat) von Ehefrau Kirsten (Victoria Mayer) verabschiedet, um die gemeinsame Tochter (Johanna Grieskamp) aus der Eishalle abzuholen. Dort erlebt er, was vielen Eltern wohlbekannt ist: Die Elfjährige möchte unbedingt bei ihrer Freundin übernachten, doch in der Schule steht eine Klassenarbeit an.

Also tut der Architekt, was die meisten Väter tun würden: Er vertröstet die beiden Mädchen auf ein andermal und packt sein Kind ins Auto. Doch es wird kein anderes Mal geben…

Kommissarin Konstanze Satorius (Victoria von Trauttmansdorff) und ihr Kollege Johannes Fischer (Henry Hübchen) (ZDF/Marion von der Mehden)

Eckert gibt zu Protokoll, dass er durch eine Art Blitz abgelenkt wurde, konkrete Beweise dafür gibt es nicht.
Und so kommen zum Verlust der kleinen Anna entsetzliche Zweifel hinzu: Trifft den zutiefst erschütterten Mann vielleicht doch eine Schuld? War er unaufmerksam?
Das fragt sich zunächst die Polizei rund um Kriminalhauptkommissar Johannes Fischer (Henry Hübchen). Diesen verbindet eine private Bekanntschaft mit den trauernden Eltern, was seine Vorgesetzte Konstanze Satorius (Victoria Trauttmansdorff) zunächst als eher hinderlich betrachtet.

 

Die Bilder in Verbindung mit der Trauer der Eltern sind beim Zuschauen zentnerschwere Kost. Man fühlt sich selbst bis ins Mark getroffen, bei dem, was man sieht und hört. Absolut gelungen, was Drehbuchautor Nils-Morten Osburg hier den Schauspielern in den Mund legt – oder was er sie gerade nicht sagen lässt. Und wirklich meisterhaft, wie Barnaby Metschurat und vor allem Victoria Mayer durch ihre Übersprungshandlungen als völlig neben der Spur befindliche, durch und durch verstörte Mutter greifbar machen, dass hier gerade absolut Unfassbares geschieht.

Markus Sellin (Bjarne Mädel) wird im Kommissariat befragt (ZDF/Marion von der Mehden)

Nun allerdings kommt eine Rückblende und Regisseur Lars-Gunnar Lotz nimmt das Publikum mit in eine ganz andere Welt, nämlich die der ganz großen Finanzgeschäfte, in deren Mittelpunkt ein höchst glaubwürdiger Bjarne Mädel dem überforderten Markus Sellin gibt – fähigen Banker, von Chef Harro Bernbeck (jovial und ein klein wenig schmierig verkörpert von Hilmar Eichhorn) bei aller Begeisterung für seine Leistung doch immer wieder herablassend behandelt. Schnell wird klar, dass seine Frau Tanja (Christina Große) nicht nur mit den häufigen Abwesenheiten ihres Ehemanns ein Problem hat und er das auch nicht wettmachen kann, indem er dem kleinen Titus (Moritz Thiel) ein zugewandter, zärtlicher Vater ist.
Es kommt, wie es kommen muss – der Spießer trifft in Lisa (Mercedes Müller) eine schöne, junge Frau, Studentin der Kunstgeschichte, die völlig unerwartet, aber sehr gekonnt seinem Ego schmeichelt.
Gleich wird klar, dass sich hier etwas anbahnt, das alle Beteiligten massiv überfordert. Wie die Sache weitergeht, erfährt man zunächst nicht.

Denn nun gibt es einen Leichenfund – sie hat mitten in der Stirn ein kreisrundes Loch und für Fischer gerät die „Unfallsache Eckert“ ins Hintertreffen.
Für die Zuschauerin und den Zuschauer tut sie das allerdings noch längst nicht: Denn es gilt klarzukommen mit diesen schwer erträglichen Szenen, bei denen Menschen mechanisch das tun, was sie immer tun, in den Klamotten vorm Vortag gefangen in einer Blase der Unwirklichkeit, die irgendwann platzen muss. Das tut sie mit einer Wucht, die niemanden kalt lässt.

Aber damit ist ja nicht ansatzweise ausgestanden, was die Menschen bewegt, was sie umtreibt. Die Sprachlosigkeit zwischen denen, die sich jetzt gegenseitig am meisten Halt geben müssten und es doch nicht können, weil so viel mehr als der Tod des kleinen Mädchens zwischen ihnen steht.
Und im zweiten Strang der Geschichte ebenfalls eine Familie, die komplett aus der Bahn geworfen ist. So viele unerfüllte Sehnsüchte, gebrochene Herzen, zerstörte Illusionen, unglückliche Figuren.

Kommissar Johannes Fischer (Henry Hübchen) am Meer (ZDF/Marion von der Mehden)

Und mittendrin dieser Kriminalhauptkommissar, dessen persönlicher Schicksalsschlag ihn so viel durchlässiger macht als die Kollegen für das Leid der Beteiligten. Gleichzeitig zeigt sich immer wieder, dass er selbst noch ein Fragender und Suchender ist, der Unterstützung braucht.

Am Ende der verschachtelten Geschichte steht zunächst tiefe Verzweiflung und Ausweglosigkeit, aber dann ein vorsichtiger, leiser Trost: Man muss weiterleben, einfach weiterleben, dann kann man sich am Ende dieses langen Weges vielleicht sogar mit dem Schmerz arrangieren.

 

„Tage des letzten Schnees“ ist ein hervorragend besetzter Film, nicht laut und actiongetrieben, aber außerordentlich spannend und dicht. Auch Jan Costin Wagner ist, wie Produzentin Silke Pützer von Network Movie Film- und Fernsehproduktion Köln erzählt, sehr einverstanden mit dieser Verfilmung seines gleichnamigen Buches.
Was sie noch über die Entstehung des Films und die teilweise ungewöhnlichen Bedingungen bei der Produktion verrät, lesen sie hier im Interview.

***

„Tage des letzten Schnees“ ist eine Produktion der Network Movie Film- und Fernsehproduktion Köln. Die Produzenten sind Silke Pützer und Wolfgang Cimera. Producerin ist Hanna V. Kienbaum. Die ZDF-Redaktion liegt bei Stefanie von Heydwolff und Karina Ulitzsch.

Regie: Lars-Gunnar Lotz
Buch: Nils-Morten Osburg nach dem gleichnamigen Roman von Jan Costin Wagner
Kamera: Jan Prahl
Musik: Daniel Benjamin
Editor: Philipp Thomas
Szenenbild: Iris Trescher-Lorenz
Ton: Christoph Köpf
Kostümbild: Katrin Aschendorf

Produktion Network Movie Film- und Fernsehproduktion GmbH, Köln
Produzenten Silke Pützer, Wolfgang Cimera
Producerin Hanna V. Kienbaum
Herstellungsleitung Andreas Breyer
Produktionsleitung Tarik Erpinar

Redaktion Stefanie von Heydwolff, Karina Ulitzsch
Länge 90 Minuten

Cast:

Johannes Fischer: Henry Hübchen
Markus Sellin: Bjarne Mädel
Lars Eckert: Barnaby Metschurat
Kirsten Eckert: Victoria Mayer
Lisa Marin: Mercedes Müller
Konstanze Satorius: Victoria Trauttmansdorff
Lutz Wegner: Jannik Schümann
Jakob Falk: Alexander Finkenwirth
Tanja Sellin:  Christina Große
Titus Sellin:  Moritz Thiel
Harro Bernbeck:  Hilmar Eichhorn
Anna Eckert: Johanna Grieskamp
Katharina: Anna Schäfer

Fotos: ZDF / Marion von der Mehden

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