Interview Peter James

15 Jahre!
So lange gibt es Krimi-Lesungen im Schießkeller des Bayerischen Landeskriminalamts in München.
Peter James ist der Einzige, der die 23 Stufen in den hermetisch abgeschlossenen Raum in dieser Zeit sogar drei Mal hinuntergestiegen ist, um seine Werke zu präsentieren.
So gut hat es ihm dort gefallen, dass der Drehbuchautor und Filmproduzent gleich bereit war, dem “LKA-Spiegel”, der Hauszeitschrift des BLKA, ein Interview zu geben, das wir mit freundlicher Genehmigung in kompletter Länge abdrucken.


Woran denken Sie als erstes, wenn jemand das BLKA erwähnt?

An die unglaubliche Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft aller Mitarbeiter. Erstaunlicherweise sind sich Deutschland und England verbrechenstechnisch sehr ähnlich – die Zahl an Mordfällen/Tötungsdelikten pro Einwohner ist fast dieselbe.

Eine noch größere und bedeutsamere Gemeinsamkeit stellt der Respekt dar, den ein Großteil der deutschen Bevölkerung der Polizei entgegenbringt, was in England praktisch genauso ist. Einen solchen Respekt verdient sich nur eine Behörde, die effizient, fair und höflich ist, was, wie ich bei meinen Besuchen feststellen konnte, auf das LKA voll und ganz zutrifft.

Sie haben 2008, 2009 und 2013 im BLKA gelesen. Was war dabei am beeindruckendsten?

Da gab es so viel … angefangen von der erkennungsdienstlichen Behandlung nach meiner „Festnahme“, Fingerabdrücke und Fotos inklusive.

Meine Lesungen waren alle gut besucht und ich hatte richtig viel Spaß. Wenn ich meine Top Drei nennen sollte, sind dies wohl:

Peter James im Waffenkeller (2006) Foto: L. Waldinger

1) Die Besichtigung von Schießkeller und Waffensammlung.

2) Die rasante Fahrt durch München auf dem Beifahrersitz eines Zivilfahrzeugs der Polizei, auf dem Schoß meinen offenen Laptop, mit dem ich dem Fahrer Anweisungen bei der Verfolgung eines Zielfahrzeugs gab – der größte Adrenalinschub ever!

3) Das Fahrsicherheitstraining, das ich beim persönlichen Fahrer des Bayerischen Ministerpräsidenten absolvieren durfte. Er zeigte mir, wie man Entführern oder potentiellen Attentätern entkommt, indem man 180-Grad-Wendungen mit der Handbremse oder bei hoher Geschwindigkeit einen Richtungswechsel durchführt und zahlreiche andere Fahrkunststücke für den Verteidigungsfall. Am Ende war ich völlig erschöpft und ebenso begeistert.

4) Nicht zu vergessen: Einmal wurde ich vor einer Lesung vom LKA in einem echten Polizeiauto abgeholt. Man setzte mich in den Wagenfond und startete dann mit quietschenden Reifen plus Blaulicht und Sirene. Das rief einen völlig panischen Hoteldirektor auf den Plan: Er dachte, man würde mich festnehmen und er könnte seine Rechnung in den Wind schreiben!

Der 14. Fall für Roy Grace

Der Name Ihres Serienhelden (Roy Grace) ist Programm: Der Mann ist sensibel, freundlich, humorvoll, intelligent und zugewandt. Andere literarische Polizisten haben jede Menge Probleme, die sich negativ auf ihren Charakter auswirken. Woher stammen die Eigenschaften Ihres Helden? Gibt es ein echtes Vorbild, an dem Sie sich orientierten?

Ich sage immer (und das ist nur teilweise scherzhaft gemeint), wenn ich jemals das Unglück haben sollte, dass eine mir nahestehende Person ermordet wird, dann würde ich wollen, dass
niemand anderer als Detective Superintendent Roy Grace für die Ermittlungen zuständig wäre!
Ich bekomme auch regelmäßig e-Mails von weiblichen Fans, die mir schreiben, dass Roy Grace der einzige Polizist ist, mit dem sie sich vorstellen könnten, ins Bett zu gehen. Also habe ich schätzungsweise bei der Konzeption dieser Figur irgendwas richtig gemacht!

Nein, im Ernst, alles geht zurück auf meinen “echten” Roy Grace – den früheren Detective Chief Superintendent David Gaylor, den ich 1997 kennenlernte, als er bei der Sussex Police Mordkommission steil auf dem Weg nach oben war. Er sagte etwas, das mich wirklich berührt hat: “Ich bin die letzte Chance für jedes der Opfer, Gerechtigkeit zu erhalten und die letzte Chance für ihre Familien, einen Abschluss zu finden.”

Ich habe mich bemüht, diese tiefe Menschlichkeit in die Figur meines fiktionalen Roy Grace einfließen zu lassen und ich denke, bei meinen Lesern auf der ganzen Welt finden genau diese zutiefst menschlichen Aspekte ein Echo.

Im Laufe seines Dienstlebens sah Dave Gaylor das Schlimmste, was man sich nur vorstellen kann (oder was vielleicht überhaupt jenseits jeglicher Vorstellungskraft ist). Dennoch hat er sich eine ruhige, sanfte Menschlichkeit bewahrt – und genau diese Charaktereigenschaft zeichnet praktisch jeden Mordermittler aus, den ich getroffen habe: Es sind durch die Bank ruhige, freundliche und sehr warmherzige Menschen.

Der Gründer des FBI, J. Edgar Hoover, sagte einmal etwas sehr Tiefgründiges: “Keinem Beamten und keiner Beamtin wird je eine größere Ehre zuteil oder keine schwerwiegendere Pflicht auferlegt, als in jenem Moment, in dem man ihn oder sie mit einer Todesermittlung betraut.”

Sie haben es ja immer wieder mit “echten” Polizeibeamtinnen und -beamten zu tun. Was denken die über Roy Grace?

Meine Frau Lara und ich haben zahlreiche Freunde unter den Polizeikräften der unterschiedlichsten Länder. Vor allem natürlich in Großbritannien, aber auch in Frankreich, den Vereinigten Staaten und Australien. Wahrscheinlich besteht unser halber Freundeskreis aus entweder im Dienst befindlichen oder bereits pensionierten Polizisten. Ich liebe ihre Gesellschaft – Polizisten sehen mehr Menschliches und Allzumenschliches als Angehörige jeder anderen Berufsgruppe und ich lerne permanent von ihnen.

Um auf die Frage zu antworten: Praktisch jeder Polizeibeamte, den ich jemals kennengelernt habe, hat beim ersten Treffen zu mir gesagt: “Sie sind also der Bursche, der die Dinge so darstellt, wie sie wirklich sind!”

Das ist eine enorme Auszeichnung. In jedem Buch setze ich alles daran, dass es zwar einerseits ein Pageturner wird, gleichzeitig aber auch hundertprozentig korrekt ist, was die Polizeiarbeit anbetrifft. Eine der schmeichelhaftesten Bemerkungen, die ich je gehört habe, machte vor einigen Jahren der damals frisch ernannte Chief Constable of Sussex, Martin Richards (Träger der Queen’s Police Medal): “Ich habe durch die Lektüre Ihrer Bücher mehr über meine eigene Polizeibehörde gelernt als durch sämtliche Gespräche mit meinen Mitarbeitern in den vergangenen sechs Monaten.”

Das größte Kompliment im Zusammenhang mit Roy Grace hat mir ein junger Beamter gemacht, der erst kurz zuvor zum Detective ernannt worden war. Er meinte: “Ich hoffe, dass ich eines Tages ein so guter und von allen respektierter Mordermittler werde wie Roy Grace.” Das sagt wohl alles; und ich fühlte mich sehr demütig.

Lesende sind von Natur aus intelligente Menschen und ich war schon immer der Meinung, dass die Bücher, die einem die meiste Befriedigung verschaffen, jene sind, die am Ende den Eindruck hinterlassen, nicht nur eine großartige Geschichte gelesen, sondern auch etwas über die Welt, in der wir leben, und über die menschliche Natur gelernt zu haben. Damit das passiert, muss der Leser fest daran glauben, sich in guten Händen zu befinden, in der Obhut eines Schriftstellers, der wirklich weiß, wovon er (oder sie) spricht. Mehr noch müssen die Figuren glaubhaft sein. Ich hoffe sehr, dass allein schon die schiere Anzahl der Leserinnen und Leser meiner Bücher aus Polizeikreisen, genau das beweist.

Sie und Roy sind ja nun schon geraume Zeit “zusammen” – wie wird es mit Ihnen weitergehen? Haben Sie nach wie vor Lust darauf, ihn Fälle lösen und Menschen helfen zu lassen? Wie groß ist die Versuchung, einen ganz neuen Krimikosmos zu kreieren mit einem völlig neuen Helden? Ab und an schreiben Sie ja auch packende Einzelromane (wie zum Beispiel “Der absolute Beweis”) – könnte das auf Dauer eine Alternative sein oder wird es weiterhin einfach eine nette Abwechslung bleiben?

 Meine derzeitige Planung der Roy Grace Bücher reicht etwa fünf Romane in die Zukunft, daher kann man schon sagen, dass es noch eine Menge Fälle zu lösen, Menschen zu helfen und Handlungsstränge sowohl zu knüpfen als auch zu entwirren gibt. Ich erhalte zahlreiche E-Mails von Fans, die mich anflehen, auf keinen Fall aufzuhören, über Roy und das Team zu schreiben, was dazu führt, dass die Versuchung, einen neuen Protagonisten zu schaffen, eher gegen Null tendiert. Und, ehrlich gesagt, liebe ich es einfach, diese Bücher zu schreiben.

Die Einzelromane wiederum sind ein höchst interessanter Aspekt meines literarischen Schaffens und zwar einer, den ich ebenfalls außerordentlich schätze. Für mich sind sie alles andere als eine “nette Abwechslung”. Sie enthalten all die Facetten von Leben und Menschheit, die ich besonders faszinierend finde.

Wie Sie vielleicht wissen, habe ich etliche Jahre gebraucht, um “Der absolute Beweis” zu schreiben. Sowohl meine Einzelromane als auch meine Sachbücher erfordern, ebenso wie die Roy Grace Reihe, eine gewaltige Menge an Recherche.

Natürlich spiele ich mit dem Gedanken an eine Fortsetzung, wenn Bücher ganz besonders erfolgreich sind; außerdem habe ich mit der Arbeit an einem neuen Einzelroman begonnen, der mit einem Familiengeheimnis zu tun hat, in dem es um eine Tante geht, die in den Niagarafällen starb – ist sie wirklich aus eigenem Antrieb gesprungen oder hat jemand nachgeholfen, der von ihrem Tod profitierte?

Mittlerweile ist Roy Grace auch im Fernsehen gelandet – wie sehr waren Sie dabei involviert?

Das wunderbare Filmteam war ein absolutes Geschenk – und bescherte mir eine Erfahrung, die ich so noch nie bei einer Verfilmung meiner Bücher erlebt hatte. Schlüsselfigur dabei war sicher der Producer, Andrew O’Connor, langjähriger Fan meiner Arbeit und persönlicher Freund, sowie jemand, mit dem ich schon bei früheren Fernsehgeschichten zusammengearbeitet hatte und dessen Urteilsvermögen ich absolut vertraute. Er stellte stets sicher, dass die Adaptionen so nahe an meinen Romanen waren wie nur irgend möglich.

Eine weitere zentrale Figur war Russ Lewis, der Drehbuchautor. Russ, Andrew und ich befanden uns vom allerersten Moment an auf derselben Wellenlänge. Russ war so begierig, die Welt von Roy Grace kennenzulernen, dass er im Zuge der Vorbereitung mit mir zusammen eine Nacht lang ein Team des Police Response crew von Brighton bei ihrer anstrengenden Schicht begleitete.

Russ hat fantastische kommunikative Fähigkeiten und er besprach jede einzelne Änderung, die er vornehmen musste, aber auch wenn dem nicht so gewesen wäre, hätte ich mich bei ihm immer in sicheren, ausgesprochen talentierten Händen gefühlt.

Der dritte Glücksfall war die Verpflichtung von John Simm. Es war ein absoluter Gänsehautmoment, als ITV mich fragte, was ich davon hielte, wenn er Detective Superintendent Roy Grace verkörpern würde. Fast hätte ich vor Freude laut geschrien! John sieht ganz genau so aus, wie ich mir immer meinen Roy Grace vorgestellt habe – nachgerade perfektes Casting sozusagen. Doch nicht nur das, Johns Schwiegervater, der 35 Jahre lang bei der Polizei war, gehört zu denen, die sich jedes Mal lautstark vor dem Fernseher echauffieren, wenn in einem Krimi ein Detail nicht stimmt. Das wiederum führte dazu, dass John meinen Wunsch perfekt nachvollziehen konnte, sämtliche Aspekte der Polizeiarbeit so akkurat wie möglich darzustellen, was im Übrigen meiner festen Überzeugung nach eine große Rolle beim Erfolg der Bücher spielt. Ich hätte also nicht glücklicher über die ersten Folgen der TV-Serie sein können; die nächsten sehen mindestens genauso aufregend aus.

Peter James und seine deutsche Stimme Hans-Jürgen Stockerl (2008) Foto: L. Waldinger

Was unterscheidet deutsche Polizeibehörden Ihrer Meinung nach von den englischen und was schätzen Sie jeweils ganz besonders?

Ich war mit Polizisten aus sehr vielen Ländern unterwegs und sehe die Briten und die Deutschen dabei absolut an der Spitze. Sie sind am besten organisiert. Während der Recherche für einige meiner früheren Roy Grace Romane habe ich einen Großteil meiner Zeit im Münchner Polizeipräsidium, dem LKA und in der Rechtsmedizin zugebracht – was schätzungsweise nicht die typischen Touristen-Sightseeing-Ziele sind.

Was die tägliche Arbeit anbetrifft, denke ich, dass die Kräfte in beiden Ländern ziemlich ähnlich sind. Der einzige wirkliche Unterschied besteht darin, dass die britische Polizei aus Kostengründen (was meiner Meinung nach nicht unbedingt sinnvoll ist) die Kriminaltechnik an externe Dienstleister ausgelagert hat statt sie im Haus zu behalten, wo man alles viel besser kontrollieren kann. Auf jeden Fall kann ich aufgrund meines letzten LKA-Besuchs sagen, dass dort die Forensik mittendrin ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

Mit Peter James korrespondierte im Juni 2021 Chefredakteurin Michaela Pelz

Übrigens: Am Ende des Mail verrät James, dass er sich in all den Jahren eine stattliche Sammlung an Polizei-Devotionalien aus aller Welt zugelegt habe – Hüte, Uniformen, Schlagstöcke, Ausweise, Abzeichen … weswegen es in seinem neuen Haus in Jersey tatsächlich ein kleines Polizeimuseum geben werde. Vielleicht eines Tages auch mit neuen Erinnerungsstücken aus Deutschland?

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