Interview Catrin George Ponciano

(Foto: Beate Schamp)

Eine neue Stimme in Sachen südeuropäische Literatur, die man sich wird merken müssen:

Catrin George Ponciano, die  in einem aufsehenerregenden Mordfall Vergangenheit und Gegenwart aufeinanderprallen lässt.

Beim Gespräch über „Leiser Tod in Lissabon“ verrät die Wahl-Portugiesin, warum sie durch die packende Erzählung eines Zeitzeugen förmlich in das Thema hineingezogen wurde und nicht umhin konnte, daraus einen Roman zu machen.

Sie erläutert, wie es möglich war, dem Werk trotz des hochpolitischen Inhalts dank seiner Protagonistin, Inspetora-Chefe Dora Monteiro, und deren tiefer Verbundenheit mit Land und Leuten, eine so liebevolle Leichtigkeit zu verpassen. Und sie lüftet das Geheimnis, wie sie sich den heimlichen Star der Geschichte, Afonso-Henrique, eigentlich vorgestellt hatte.

Wenn dann die Kulturjournalistin außerdem noch von dem Ort erzählt, an dem sie seit gut zwanzig Jahren lebt und an dem es, wie das Internet weiß, nicht nur „feinsandige Strände“, sondern auch „europaweit die meisten Sonnentage“ gibt, dann will man eigentlich sofort hinfahren: An die Algarve-Küste. Weil das nach wie vor schwierig ist, begnügt man sich idealerweise erst einmal mit dem Krimi der Kulturjournalistin und ihren fantastischen Fotos, alle versehen mit sehr persönlichen Kommentaren … immer vor dem Hintergrund „aufgeschoben ist nicht aufgehoben“.

Frau George Ponciano … einige kennen Sie als Autorin eines Genießer-Kochbuchs (mit der Expertise der Küchenchefin verfasst, die Sie einmal waren).
Andere freuen sich über Ihre Reportagen und Reiseführer, in denen Sie mit einer Mischung aus Fakten, Geschichte und originellen Anekdoten Orte und Gebräuche Ihrer Wahlheimat vorstellen.
Nun liegt Ihr Debüt im Bereich Spannungsliteratur vor.
Warum jetzt und warum musste es unbedingt ein Krimi sein? Immerhin wäre auch ein Familien- oder Gesellschaftsroman denkbar gewesen …

Die Geschichte in diesem Buch versteckt kam zu mir, völlig unerwartet, an einem heißen Sommerabend vor zwei Jahren im August, bei einem, oder eher zwei Glas eisgekühlten Roséwein aus dem sengend heißen Alentejo.

Jemand, den ich bereits eine Weile kenne, fasste sich ein Herz und erzählte mir, ohne dass ich irgendetwas hinterfragt hatte, aus einem Impuls heraus, von seinen Erfahrungen während der Diktatur Portugals.
Er weihte mich ein in seine Erinnerungen an sich als aufmüpfiger Student, sprach von Verhaftung und Verhör seitens der PIDE Polizei, später trat er ein ins Militär, wurde Militärpolizist, nahm im Dienst an der Waffe Teil in der Nacht der Nelkenrevolution. Er erzählte mir von Adrenalin am Limit, als das Signal zum Losschlagen für die Revolte gegeben worden war, von der fiebrigen Jagd auf die ehemaligen Peiniger der Miliz, und den gefürchteten Kontrollverlust, kurzen Prozess mit den einstigen Folterknechten zu machen. Ich erfuhr von der Wut in seiner Militärpolizeieinheit am 25. November 1975, am Tag der Militärrevolte, als Portugal Gefahr lief, seine gerade errungene Republik an die extrem links gerichtete Opposition zu verlieren.
Wie hypnotisiert lauschte ich seiner minutiösen Schilderung von der gestellten Falle in der Kaserne der Lanzenträger in der Calçada da Ajuda, vom Beschuss an diesem eiskalten Morgen. Portugiesen schossen scharf auf Portugiesen. Unvorstellbar. Eineinhalb Jahre nach der Befreiung des Landes. Das hat geknallt!
In meinen Ohren knallte es auch, und ich wusste noch beim Zuhören, das ist Stoff für einen Kriminalroman.

Über Menschen und ihre Gebräuche, und über Orte schreibe ich dennoch weiter, in literarischen Nahaufnahmen, in Reportagen und im Reiseliteraturformat.
Doch ich gestehe, mein Faible für Romanliteratur ist erwacht und ich bleibe dran. Spannungsliteratur oder gesellschaftskritisch. Ich mag die Vermischung von Fakten und Fiktivem, das beschert einer Geschichte Tempo und psychologische Drehmomente.

Im Gassenlabyrinth Alfama teilen die Menschen ein Leben lang Liebe, Kummer, und Freude, ein eigener Lebenskosmos, fern vom Touri-Rummel, der mich umfängt mit großen Geschichten von kleinen Leuten.

Manche Leserinnen und Leser greifen gezielt zu Romanen, die in typischen Urlaubsregionen spielen. Sie wünschen sich wiedererkennbare Sehenswürdigkeiten und wollen eintauchen in die „folkloristische“ Atmosphäre des Ortes. Das alles findet sich ebenfalls in Ihrem Roman – irgendwo hört man immer den Fado, hat den Geruch von frischen Sardinen, würzigem Fleisch, Kaffee, grünem Wein oder Hochprozentigem in der Nase, während auf den Straßen das Verkehrschaos tobt.
Welche Elemente der dahinterstehenden Lebensart haben Sie dazu bewogen, Ihre Zelte in Portugal aufzuschlagen und nicht wieder abzubrechen?

In Portugal habe ich lieben gelernt. Lieben – und leben. Der Wind wispert, das Meer raunt, Lisboa singt und schwingt, und alle Portugiesen lachen. Herzlich, aufrichtig.
Portugal menschelt und flucht, seufzt und singt, busselt und diminuiert was das Zeug hält, man lässt Dampf ab und dann geht das Leben wieder weiter. Ein Steh-auf-Land. Das kommt meinem Temperament entgegen.

Nun steht im Zentrum von „Leiser Tod in Lissabon“, wie wir bereits erfahren haben, aber kein Mord, wie er irgendwo auf der Welt hätte passieren können, sondern es wird schnell klar, dass alles mit der politischen Geschichte des Landes zusammenhängt …

Ganz genau. Der „Leise Tod“ bezieht sich, wie die Leserinnen rasch merken, nicht so sehr auf die Tötungsmethode, die zwar buchstäblich leise geschah, sondern darauf, warum der Mord begangenen worden ist.
Ich nehme die Leserinnen mit in die seelischen Abgründe derer, die unter dem vor 74 herrschenden totalitären System gelitten haben und das auch nachher ein Leben lang mit sich herum tragen.
In meinem Roman lasse ich Opfer auferstehen. Tote und ihre Angehörigen, denn die ertragen den Schmerz weiter. Vermischt mit Wut und Ohnmacht.

O Rossio – Baixa de Lisboa – Wenn ich auf dem Rossio stehe, spüre ich die Stimmung der Stadt bei jedem Gasgeben, jedem Hupton, im Staunen der Besucher – überall pulst Lebenslust.

Wie präsent sind die Geschehnisse rund um die „Nelkenrevolutioin“ und die Zeit danach in der Bevölkerung Ihrer Wahlheimat?

Ein Leben lang spüren sie diesen Riss im Inneren. Eine Ruptur. Ein Graben zwischen Täter und Opfer, denn auch Spitzel waren Täter. Somit trug im Durchschnitt jeder dritte Bürger Portugals indirekt zum Fortbestehen der Diktatur bei, während ein großer Teil der Bevölkerung sich eben vor dieser Überwachung fürchtete. Dieser Riss trennte die Nation in zwei Hälften – bis heute.
Besonders gegenwärtig zu beobachten während der Corona-Krise. Das Misstrauen von einst brennt weiter und hemmt eine sozialgesellschaftlich geprägte, einheitliche Evolution mit Gleichstellung, wie sie in anderen Ländern Europas stattgefunden hat.
Allerdings hatten vor allem mitteleuropäische Länder einen politisch zeitlichen Vorsprung. Portugals Demokratie ist ja erst 46 Jahre jung. Um sich jedoch innenpolitisch zu einen, gehören Erinnerungskultur, Aufarbeitung, Kommunikation dazu – und Verzeihen. Das dauert.

Was bedeutet das für eine eventuelle Veröffentlichung Ihres Romans in Portugal? Würde die Begeisterung über ihre liebevolle Schilderung von Land und Leuten überwiegen oder gäbe es gute Gründe, sich wie Donna Leon einer Übersetzung in die Sprache des Romanschauplatzes zu verweigern?

„Frauen die schreiben, leben gefährlich“, titelte einst Elke Heidenreich ihr Buch über Schriftstellerinnen.

Stimmt. In allen Epochen erhoben Frauen ihre klugen Stimmen, und wurden von Männern stumm geschaltet. Donna Leon wird für ihre Entscheidung, definitiv explizite Gründe haben. Italiens real kriminelle Landschaft ist anders strukturiert als die in anderen europäischen Ländern.

Die Auseinandersetzung mit Fakten aus der PIDE Zeit ist in Portugal jedenfalls seit vielen Jahren ein andauernd aktuelles Thema, dem sich eine angesehene Avantgarde literarisch und politwissenschaftlich widmet. Die den Finger sehr tief in die blutende Wunde legen, auch in andere, zum Beispiel in die Aufarbeitung des Themas Sklavenhandel während der imperialistischen Weltmachtglorie.

Die Haltung der portugiesischen Schriftsteller hat mir von Anfang an imponiert. Opposition aus Überzeugung, nicht wegen des eignen Lorbeerkranzes. Da bin ich gerne dabei.

Gemeinsam feiern geht immer. Der Sommer ist für alle da, die Nachbarschaft rückt zusammen, auf der Straße, im Hinterhof, mit Kind, Oma und Hündchen, sie begegnen Fremden, die als Fremde kommen und als Freunde gehen.

Pittoreske Orte hier, reale politische Ereignisse dort – wie kommt das bei der Leserschaft an und können Sie anhand der bisherigen Reaktionen schon sagen, wer das am liebsten liest? Frauen, Männer, junge Menschen?

Bis jetzt lauteten die Reaktionen, die mich erreicht haben, durchweg überrascht über Plot und Ende, und darüber, wie bildhaft Lissabon vor dem inneren Auge entsteht.
Es waren Leserinnen und Leser zwischen Zwanzig und Neunzig dabei. Portugal-Kenner und Lissabon-Freunde, eine Menge deutsch-sprechende Portugiesen, die innerhalb der Familie über die Geschehnisse nun offener sprechen, aber es kamen ebenso sehr liebenswerte Zeilen von Leserinnen und Lesern, die Lissabon und Portugal (noch) nicht kennen.
Die Mischung der Leserschaft freut mich sehr.

Was war für Sie persönlich die größte Herausforderung bei der Verflechtung von historischen Ereignissen und der fiktiven Handlung der Jetztzeit?

Das Motiv. Es erst zu verbergen, dann allmählich sichtbar zu machen, und am Ende fühlbar.
Knifflig empfand ich es außerdem, bloß wirklich relevante kriminalistisch polizeiliche Aspekte einzubauen, ohne ins Detail der Spurensicherung zum Beispiel zu gehen, weil die Arbeit der Abteilung in diesem Roman kaum relevant sind, dabei aber trotzdem plausibel zu bleiben.
Zwischen die historischen Fakten musste ich meine Figuren platzieren und dafür sorgen, dass sie spannungsgeladen aufeinanderprallen, ohne gleich alles zu verraten.
Der Bösewicht musste gut versteckt werden und nur schrittweise enttarnt. Die Showdown-Szene habe ich mehrmals umgeschrieben, damit Dora als weibliche Ermittlerfigur reell bleibt, und glaubwürdig.

Die Bica, der portugiesische Espresso, stets frisch gemahlen für die nächste frisch gebrühte Portion ist ein Zungen-Labsal, und für Inspetora-Chefe Dora Monteiro mit vier Tütchen Zucker bitte. Mein persönlicher Hochgenuss jeden Tag drei mal – ohne Zucker.

Gutes Stichwort! Lassen Sie uns noch einen Blick auf Ihre Heldin werfen.
Diese Kommissarin Dora Monteiro ist auf der einen Seite eine überaus toughe Frau mit einer Mission – sich zugunsten der Gerechtigkeit gegen alle Widerstände ganz nach oben zu arbeiten.
Andererseits besitzt sie großen Familiensinn und ist immer wieder, oft für sich selbst unerwartet, den Menschen herzlich zugetan, mit denen sie zu tun hat. Seien es Kollegen, Untergebene, Zeugen oder sogar Verdächtige.
Haben Sie diese Frau am Reißbrett entworfen oder wie hat sich Ihnen der Charakter dieser Figur erschlossen?

Inspetora-Chefe Dora Monteiro ist ziemlich eigensinnig – und eigenbrötlerisch. Ihre Wandlung hat im Laufe des Buches stattgefunden, ausgelöst durch ihre nicht definierbare Beziehung zum Bruder des Opfers. Auch sie musste sich von Schmerz und Wut befreien.

Das war sehr interessant, denn Dora folgte der Geschichte eigenständig, das war nur bis zu einem gewissen Punkt planbar, aber nachdem ich das verstanden habe, war Doras Figurenentwicklung eine rasante transzendente Erfahrung für mich, während ich sie Taste für Taste getippt sichtbar gemacht habe. Ansonsten marschierte Dora unentwegt durch meinen Kopf, als wäre es ihr Kopf.

Unverschämtheit!

Und dann kam ja auch noch Afonso-Henrique dazu, und kräht an den unmöglichsten Stellen im Buch. Aus der geplanten Hauskatze wurde der Galgenvogel. Aus dem Porsche ein Oldtimer. Aus langen roten Haaren, gelockte schwarze, und aus der 1.85 Meter großen eleganten Frau im schnittigen Damenkostüm, ein 1.55 Meter großer Wirbelwind.
Seufz. Es war schön mit Dora. Aufregend und überraschend.

Einige der Eigenschaften Ihrer Protagonistin könnte man sich auch für die Autorin gut vorstellen – daher ein paar kurze Fragen zu Ihren Angewohnheiten und Vorlieben, gerne mit einer kurzen Begründung.

    • Fado, Flamenco oder Tango?
      Alles und jederzeit.
      Tanzen befreit, ist gut für die Sinnlichkeit – für sich – und andere.  Soul, Blues und Klassik bitte auch noch.
      Hören, am liebsten allein. Außer beim Schreiben, da heißt es Silêncio por favor.
    • Im Kühlschrank: Süßes oder lieber etwas Herzhaftes?
      Käse, Tomaten, Gemüse, und Wein.
    • Selbst Auto fahren oder chauffiert werden?
      Mein Mann fährt und die Welt könnte nicht schöner sein.
      Sonst bitte selbst.
    • Einkäufe im kleinen Laden um die Ecke, wo die Besitzerin alles über Sie weiß oder doch lieber im Supermarkt?
      Definitiv nebenan bei Dona sowieso und Senhor wie auch immer, im Mini-Markt oder in der Markthalle, mit allem zipp und zapp, Tagestratsch und nachbarschaftlichem Meuchelmord.
      Das ist Leben. Das ist jetzt.
    • Haustiere: Ja, nein, weiß nicht?
      Ohne geht gar nicht.

Am Ende wird der aktuelle Fall zwar gelöst und der weitere Weg der Heldin angedeutet, aber es gibt diverse Hinweise auf Details aus ihrem Leben, über die man gerne noch viel mehr wüsste. Wird diese Neugier im nächsten Band gestillt?

Wird es, sofern es einen nächsten Band, oder zwei, geben sollte.

Dora Monteiros Lieblingsspeise – Garnelen – in jeder Variante – Hauptsache scharf! Meines auch und in Lissabon am liebsten in der Alfama in einem der urig winzigen Lokale verspeist.

Letzte Frage: Derzeit ist es ja leider (noch) nicht ganz problemlos möglich, direkt vor Ort persönlich auf den Spuren der Senhora Inspetora-Chefe zu wandeln. Wollte man sich nun ersatzweise wenigstens kulinarisch einen Hauch von Portugal ins Haus holen, was müsste dann unbedingt auf den Tisch?

Wenn wir wieder können, wie wir möchten, plane ich ein Krimi-Wochenende mit kulinarischen Interludien, in Lissabon auf Doras Spuren.

Demnächst wird ein Krimi-Dinner in meinem Lieblingslokal in Alvor stattfinden.

Für diejenigen, die sich mit Doras Leibspeisen jetzt laben möchten, empfehle ich:

Vorspeise: Salzig eingelegte Oliven, marinierte Möhrchen, Algarvio-Tomatensalat und frisch gedämpfte Felsengarnelen aus Olhão zum selbst pulen. Danach Venusmuscheln in Knoblauchsud, und Gambas in scharfer Kokossauce mit Reistimbale, zum Dessert Leîte Créme. Zum Aperitif roten Wermut mit einem Hauch Gin, Eiswürfel und Zitronenschale, zum Essen eisgekühlten grünen Wein aus dem Hause Sezim, oder Breijoeira, und damit alles gut runterrutscht und weiterschwimmt, zur Bica-Espresso nach dem Dessert etwas Konkretes, zum Beispiel Medronho-Erdbeerschnaps aus der Algarve.

Die nebenbei genaschten Häppchen wie brasilianischer Schokokuchen, Klostertörtchen, und Himmelsspeck , isst man am besten da, wo sie am besten schmecken: In Lissabon.

Die Rezepte stelle ich nach und nach online auf meine „Leiser Tod in Lissabon“ Fanpage.
https://www.facebook.com/CatrinGeorgePonciano

Auf meiner Homepage steht aktuelles und mehr über Portugal – und über mich
www.catringeorge.com

Vielen Dank für das Gespräch!
(Mit Catrin George Ponciano mailte sehr gern Michaela Pelz im Juni 2020)

Die Rechte an sämtlichen Fotos (mit Ausnahme des Buchcovers) liegen bei Catrin George Ponciano.

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