Seitdem Ursula Poznanski mit ihrem Jugendbuch-Debüt „Erebos“ direkt den Deutschen Jugendliteraturpreis gewann, hat sie zur Freude ihrer Fans jedes Jahr einen packenden Thriller mit jungen Protagonisten herausgebracht, der längst nicht nur die Zielgruppe der Teens und Twens begeistert.
In „Shelter“, erschienen im Oktober 2021, geht es um eine kleine Gruppe Studierender, die sich aus einer Laune heraus eine Verschwörungstheorie ausdenken und in Umlauf bringen. Die Sache verselbständigt sich und läuft völlig aus dem Ruder …Mit dem Buch ist die Wienerin direkt nach Erscheinen in der Top Ten der Spiegel-Bestsellerliste gelandet.
Krimi-Forum: Frau Poznanski, wie fühlt sich das an, auf Nummer 8 zu stehen
Ursula Poznanski: Über Platz Nummer acht bin ich jetzt, also im Oktober, wo alles rauskommt, echt happy!
Was war zuerst da: Die Idee zu Shelter oder die Pandemie? Heißt: Lag das Thema ohnehin in der Luft oder hätte man eine solche Geschichte ohne Corona nie erzählen können?
Tatsächlich war die Pandemie zuerst da. Sonst hätte mir wohl die Idee auch nicht so unter den Nägeln gebrannt.
Begonnen habe ich mit der Arbeit am Buch im Herbst 2020, fertig war es im Mai 2021.
Sich völlig verrückte Dinge auszudenken und generalstabsmäßig dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen das Narrativ glauben, klingt erst einmal nach einer Menge Spaß. Haben Sie allein „herumgesponnen“ oder gab es „Mittäter“?
Das habe ich mir alles ganz allein ausgedacht. So wie eigentlich immer.
Die Idee allerdings kam auf, als ich in einer Runde zwischen zwei Lockdowns mit ein paar Kollegen und einer Kollegin zusammensaß.
Wer war das?
Vea Kaiser, Marc Elsberg und Clemens Berger.
Wie fühlt es sich dann an, wenn man eine, ziemlich abenteuerliche, Alien-Story erfindet und dann mit Menschen konfrontiert wird, die davon überzeugt sind, durch die Corona-Impfung könnten Chips zur menschlichen Fernsteuerung ihren Weg in unsere Körper finden?
Persönlich kenne ich niemanden, der die Chips-Theorie wirklich glaubt – aber genügend Leute, die lieber Vitamin C und Zink nehmen, als sich impfen zu lassen.
Ich bin wirklich sehr erstaunt, dass es doch so einen großen Anteil von Leuten gibt, die ihr eigenes Bauchgefühl über das stellen, was in jahrelangen Studien erforscht wurde. Als ehemalige Journalistin im Medizinbereich hat die Wissenschaft bei mir einen Vertrauensvorschuss, denn ich weiß gut, wie viel drinsteckt, bevor ein neues Präparat auf den Markt kommt. Da gilt es, ganz genaue Regeln einzuhalten, und niemand sollte glauben, dass jeder da ein bisschen rumspielen und danach schauen kann, was dabei rauskommt.
Wenn aber aus offensichtlichem Quatsch im wahrsten Sinne des Wortes „blutiger“ Ernst wird, dann ist das in einem Thriller eine Sache – dort, wo Menschen aber deswegen erschossen werden, weil sie andere zum Maskentragen auffordern, eine ganz andere. Was denkt man da als Autorin?
Ich habe dafür keine Worte.
Es zeigt, finde ich, vor allem, wie unglaublich hoch das Aggressionspotential bei uns ist, wie hoch das Adrenalin – meist in Kombination mit Testosteron (lacht bitter auf) steht und welche Minimalanlässe die ganze Sache zum Explodieren bringen können. Befeuert von bestimmten Gruppen und politischen Parteien, die davon profitieren.
Das finde ich durch die Bank widerlich.
Mehr fällt mir dazu nicht ein.
Gab es bereits Reaktionen zu „Shelter“ aus der Querdenker-Szene?
Bisher noch nicht, was mich, ehrlich gesagt, fast erstaunt. Ich dachte wirklich, ein paar böse Mails würde es geben …
Das ist aber keine Aufforderung! (lacht)
Was meinen Sie: Ist diese Bewegung nebst allen anderen Auswüchsen der Pandemie Geschichte, wenn wir uns an einen Alltag „mit Corona“ gewöhnt haben? Dass die Messe aktuell stattfinden kann, ist ja schon wieder ein Schritt Richtung Normalität …
Ich glaube nicht, dass wir vor der kompletten Wiederaufnahme des normalen Lebens stehen und kann mir auch nicht vorstellen, dass das auf einen Schlag gehen wird. Im Gegenteil glaube ich, dass wir daran noch sehr viel länger kauen werden.
Gewisse Fronten haben sich schon sehr verhärtet, ich bezweifle, dass sich das nach der Pandemie einfach in Wohlgefallen auflöst. Es haben sich ja Risse in Freundeskreisen oder sogar Familien gebildet – eine bestimmte Haltung als pure Meinungsäußerung zu tolerieren, ist extrem schwierig, wenn sie Menschen gefährdet. Wenn jemand beispielsweise ein Fest macht und dazu nur geimpfte Freunde einlädt, ist das eine verständliche Sicherheitsmaßnahme, die aber meistens persönlich genommen wird. Alte Konflikte vertiefen sich und neue brechen auf. Ich denke, da werden wir noch lange mit den Nachwehen zu kämpfen haben.
Im Moment scheinen aber alle erst mal den Messebesuch zu genießen. Was war für Sie bei den Vorbereitungen am seltsamsten? Klappte das mit dem Packen ganz problemlos? Oder ist aus Versehen die Jogginghose in den Koffer gewandert?
Das komplett blinde Packen habe ich nicht mehr draufgehabt.
Und die Jogginghose ist tatsächlich dabei (lacht) – sollte die Messe je so langweilig werden, dass ich ins Hotel fahren und arbeiten will. Bis jetzt sieht es allerdings nicht danach aus (lacht noch mehr).
Haben Sie alle Ihre „Social Skills“ noch? Manche Menschen berichten, dass ihnen die Fähigkeit zum Smalltalk abhandengekommen sei. Können Sie das bestätigen?
Das nicht gerade, aber was mir auffällt: Die Bereitschaft zu körperlicher Nähe muss immer vorher abgeklärt werden. Man fällt sich nicht mehr automatisch um den Hals – was vor allem unter dem Aspekt seltsam ist, dass wir uns alle ja so lange nicht mehr gesehen haben.
Ach ja und dann natürlich die Maske, als Bestandteil von allem. Es passiert mir durchaus, dass ich an Leuten vorbeilaufe, die ich kenne. Mich selbst erkennt man ja an den Haaren, andere nicht (lacht).
Noch mal zurück zum Buch, das ja zum Glück neben den verstörenden Passagen auch mit unglaublich spannenden Szenen sowie humorvollen Wendungen und höchst ungewöhnlichen Aspekten aufwartet.
Benny probt zum Beispiel diverse coole Monologe für seine Schauspiel-Aufnahmeprüfung, die ihm später auch in ganz anderer Hinsicht nützlich werden – wie kamen Sie auf die einzelnen Stücke?
Zur Sammlung meiner abgebrochenen Studien gehören ja auch die Theaterwissenschaften. Deswegen steht bei mir daheim eine stattliche Anzahl an Reclamheften. Außerdem mehrere Bücher mit Tipps für Vorsprechmonologe, unter anderem von einer Wiener Schauspielschule. So konnte ich direkt passende Sachen zusammensuchen, um nicht den Hamlet und den Franz Moor überstrapazieren zu müssen. Ich wollte etwas Klassisches, was Modernes und was Amüsantes.
So wie die angehenden Schauspieler ja auch möglichst viel Bandbreite zeigen sollen.
Letzte Frage, nochmal in Anlehnung an Bennys Fähigkeiten: Welche verschiedenen Schaumtiere können Sie auf einen Cappuccino zaubern?
Gar keines, null, nicht einmal die Basic-Katze.
Wo genau muss man dann hingehen, um solche fancy Verzierungen in seiner Tasse zu haben? In den meisten Cafés sucht man die doch vergeblich, oder?
Das kommt eher selten vor, das ist schon wahr. Es gibt aber Baristas, die sich in dieser Richtung fortbilden, wie man bestimmten Seiten auf Facebook oder Insta entnehmen kann. Das nennt sich dann „Latte Art“, und die entsprechenden Instagram-Accounts waren meine Inspirationsquellen. Denn bisher hat mir persönlich noch nie jemand ein Einhorn auf den Cappuccino gezaubert. Ich hätte aber absolut nichts dagegen, wenn der nächste Barista das tun würde.
Übrigens: Das wiederum IST eine Aufforderung! (lacht) „Macht Tiere auf meinen Cappu!“
Dann hoffen wir doch, dass der nächste Barista dieser Frau den Gefallen tut – erkennbar ist sie bekanntlich sogar mit Maske.
Mit Ursula Poznanski traf sich ausgesprochen gern während der Frankfurter Buchmesse im Oktober 2021 Chefredakteurin Michaela Pelz.